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Lavanttal, Wien. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen für das Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen der FPÖ und der ÖVP?
Christian Ragger, FPÖ: Hauptursache für das Scheitern war der mangelnde Reformwille der ÖVP. Sobald wir bei den Verhandlungen tiefer in die Struktur der Republik eintauchten – zum Beispiel: Änderung des Gesundheitssystems – blockierte die ÖVP sofort. Im Nachhinein ist mir klar warum. Weil die ÖVP, wie so oft, aufgrund ihrer parallelen Verhandlungen mit der SPÖ, nur Zugeständnisse machen wollte, die Dienst nach Vorschrift gewesen wären, also ein Weiterwurschteln in der Republik. Auf meine Idee die Sozialleistungen für Asylanten um 50 Prozent zu kürzen und für sie eine eigene E-Card einzuführen, ging die ÖVP nicht ein. Es kann aber nicht sein, dass Wien 270.000 Mindestsicherungsbezieher – 80 Prozent davon sind Ausländer – hat, die im Schnitt 1.200 Euro Sozialhilfe bekommen. Und damit zeigt sich einmal mehr, dass die ÖVP kein Partner ist, weder auf Landes- noch auf Bundesebene.
»Hauptursache für das Scheitern war der
mangelnde Reformwille der ÖVP«
Christian Ragger, FPÖ-Bezirksparteiobmann
Johann Weber, ÖVP: Herbert Kickl zeigte keine Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen. Er nahm in fünf Wochen nur sieben Stunden an den Gesprächen teil. Das ist zu wenig. Kickl hatte auch mehrfach an seine Verhandler die Devise ausgegeben, »die ÖVP anrennen zu lassen«. Darüber hinaus wollte er 100 Prozent seines Wahlprogramms durchbringen. In Österreich braucht es – anders als etwa in den USA – immer einen Kompromiss, einen Konsens zwischen den Parteien. Und das ist gut so. Kickl war in einem Machtrausch. Hätte die FPÖ das Innenressort bekommen, hätten andere Staaten mit uns nicht mehr zusammengearbeitet. Die Warnung vor einem möglichen Anschlag beim Taylor-Swift-Konzert in Wien kam aus dem Ausland. Weiters: Grundrechte sind für die ÖVP niemals verhandelbar. Kickl wollte Grundrechte aushöhlen und einschränken.
Daniel Fellner, SPÖ: Die jeweiligen Parteichefs haben ja aus ihren Herzen keine Mördergrube gemacht und in ihren Statements sehr deutlich erklärt, woran es gescheitert ist: an Posten und Machtanspruch. Noch bevor alle Themen verhandelt waren, bestanden offenbar beide Seiten darauf, sich die gewünschten Ministerämter und Machtbereiche zu sichern. Das ist natürlich kein sinnvoller Weg. Inhalte müssen immer vor Posten gehen.
Wie soll es weitergehen – Neuwahlen oder sollen erneut Verhandlungen zwischen Parteien stattfinden?
Christian Ragger, FPÖ: Ich bin für Neuwahlen. Die sollen dann die Frage klären, ob die Bevölkerung Reformen bei der Wirtschaft, eine Absenkung der Steuerbelastung usw. will. Aktuell ist der Mittelbau die Schicht, die die gesamte Zeche der Republik bezahlt. Durch Neuwahlen sollte geklärt werden, ob die Bevölkerung eine Gesamtreform der Republik oder so weiterwurschteln möchte, wie die vergangenen 50 Jahre. Ich höre aber aus der Präsidentschaftskanzlei, dass binnen zwei Wochen eine Regierung stehen muss. Ich denke, da wird die SPÖ abgespeist werden, um als Erfüllungsgehilfe der ÖVP zu dienen. Es zeigt aber auch eines: Im Grunde genommen ist es egal, was der Wähler entscheidet, denn die ÖVP tut ohnehin, was sie will.
Johann Weber, ÖVP: Neuwahlen lähmen unser Land für mindestens sechs Monate. Wir brauchen eine verantwortungsbewusste und stabile Regierung, denn es gibt viel zu tun.
»Es gibt bei allen Parteien vernünftige Akteure. Herbert Kickl gehört definitiv nicht dazu«
Johann Weber, ÖVP-Bezirksparteiobmann
Daniel Fellner, SPÖ: Dazu ist jetzt in erster Linie einmal der Bundespräsident am Wort. Er hat in seiner Ansprache sehr deutlich Kompromissbereitschaft eingefordert. Ich denke, dass ein letzter Verhandlungsversuch gestartet werden könnte, da es wirklich hoch an der Zeit ist, wieder eine handlungsfähige Bundesregierung mit einer Mehrheit im Nationalrat zu haben. Das aber nur, wenn auf allen Seiten ein gewisser Wille zur Bewegung besteht. Regieren um jeden Preis – dafür stehen wir nicht. Die SPÖ fürchtet sich nicht vor Neuwahlen. Auch eine Expertenregierung auf Zeit ist eine mögliche Variante, wenn sich im Nationalrat eine Mehrheit für ein vernünftiges Budget findet.
Michael Hirzbauer, Grüne: Blau-Schwarz ist gescheitert. Jetzt besteht die Chance, eine Regierung zu bilden, die frei von rechtsextremen Einflüssen ist. Ob durch erneute Verhandlungen unter den konstruktiven Kräften, Neuwahlen oder eine Expert:innenregierung wird sich weisen – entscheidend ist aber, dass alle politischen Kräfte Verantwortung übernehmen, aufeinander zugehen und den Dialog samt Kompromiss suchen.
Warum sollte es im Falle von neuerlichen Verhandlungen von der ÖVP mit SPÖ und Neos nun eine Lösung geben, nachdem die ÖVP bereits einmal mit diesen Parteien verhandelt hat, die Verhandlungen aber gescheitert sind?
Johann Weber, ÖVP: Die ÖVP ist nicht gescheitert. Die Neos haben den Verhandlungstisch verlassen und die SPÖ war nicht bereit die Bürger zu entlasten. Jetzt gab es für beide eine Nachdenkzeit, vielleicht haben sie diese im Sinne von Österreich genützt.
Daniel Fellner, SPÖ: Weil sich die Ausgangslage doch deutlich verändert hat. Die ÖVP ist Anfang Jänner vom Verhandlungstisch aufgestanden im Wissen – beziehungsweise im Glauben – dass sie in der FPÖ eine bessere Alternative hat. Diese Hintertür ist jetzt zu. Diese neue Lage sollte die vom Bundespräsidenten eingeforderte Kompromissbereitschaft und den Willen, zu einem Ergebnis zu kommen, erheblich steigern. Dazu kommt, dass wir in vielen inhaltlichen Bereichen bereits sehr weit gekommen waren. Die SPÖ hat die Verhandlungen ja nicht beendet – wir waren bereit, sie zu einem guten Abschluss zu bringen.
»Die Parteichefs haben deutlich gemacht, woran es gescheitert ist: Posten und Machtanspruch«
Daniel Fellner, SPÖ-Bezirksparteiobmann
Die Grünen haben bislang noch keine Verhandlungen mit der ÖVP geführt. Wäre die Grünen bereit für Koalitionsgespräche und können Sie sich vorstellen, im Falle von Verhandlungen, bei denen diesmal auch die Grünen dabei sind, eine Lösung zu finden?
Michael Hirzbauer, Grüne: Politische Arbeit muss sich auf das ehrliche Bemühen um gute Lösungen konzentrieren. Das haben wir Grünen in den vergangenen fünf Jahren in einer Koalition von zwei sehr unterschiedlichen Partnern unter Beweis gestellt – und wir konnten unseren Beitrag leisten. Diesen konstruktiven Zugang braucht es auch für die Zukunft. Wir Grünen werden uns mit Kompromissbereitschaft, Offenheit und dem festen Willen, Österreich zu verbessern, einbringen, damit eine Regierung ohne Rechtsextreme zustande kommt und diese auch stabil arbeiten kann.
Haben Sie noch eine Message an die anderen Parteien?
Christian Ragger, FPÖ: Ich bin enttäuscht, weil wir alle zusammen – und da nehme ich auch die FPÖ nicht aus –, ein ganz schlechtes Bild von der Politik gegenüber der Bevölkerung abgeben, was es heißt, politische Verantwortung zu tragen. Ich denke, dass sich jeder Wähler verarscht fühlt, wenn man sieht, dass man in vier Monaten nur parteipolitische Spielchen betreibt und die aktuelle Situation das Ergebnis ist. Das entspricht nicht dem Wählerwillen. Ich entschuldige mich dafür, dass es uns nicht gelungen ist, dieses grausame Spiel rechtzeitig erkannt und beendet zu haben.
Daniel Fellner, SPÖ: Die ÖVP und die FPÖ haben mit diesem Machtkampf um Posten und Einfluss dem ohnehin bescheidenen Image der Politik keinen Gefallen getan. Aber es bringt nichts, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Wähler haben die Stärkeverhältnisse geschaffen, wie sie sind. Das ist die Realität. Entscheidend ist nicht, wie viele finanzstarke Lobbys jemand im Hintergrund hat, sondern wie viele Wählerstimmen erzielt wurden.
Johann Weber, ÖVP: Weniger Machtstreben, mehr Ernsthaftigkeit, die Bürger in den Vordergrund stellen sowie eine Bereitschaft für einen gesunden Finanzhaushalt mit Perspektive für eine erfolgreiche Zukunft. Es gibt bei allen Parteien auch vernünftige Akteure. Kickl etwa gehört definitiv nicht dazu.
Michael Hirzbauer, Grüne: Für eine gute Zukunft in Österreich braucht es Verantwortung, Vernunft, echten Willen zur Zusammenarbeit und eine Portion Mut und Zuversicht. Es ist Zeit, dass die Politik in diesem Land wieder beginnt, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und wieder stärker nach diesen Gedanken handelt.
»Jetzt besteht die Chance, eine Regierung zu bilden, frei von rechtsextremen Einflüssen«
Michael Hirzbauer, Bezirkssprecher Grüne
Im Falle einer Neuwahl: Würden Sie wieder kandidieren?
Christian Ragger, FPÖ: Dann werde ich natürlich wieder kandidieren, weil mich ja zuletzt die Menschen mit einem Direktmandat ausgestattet haben.
Johann Weber, ÖVP: Natürlich. Ich setze mich gerne für die Interessen der Kärntnerinnen und Kärntner ein.
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