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Rohrer: »Kurz hätte erkennen müssen, dass sein Spiel und das seiner Bewunderer verloren ist«Ausgabe 42 | Mittwoch, 20. Oktober 2021

Die Journalistin Anneliese Rohrer (77) spricht mit den Unterkärntner Nachrichten über die aktuelle politische Lage in Österreich, Skandale in der heimischen Politik, das Vertrauen in die Medien und wie sie über den neuen Bundeskanzler Alexander Schallenberg denkt.

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Sie sind Innenpolitik-Expertin und werden regelmäßig in TV-Sendungen zur Lage der Nation und jetzt natürlich zur ÖVP-Affäre  befragt. Was sagen Sie zur aktuellen politischen Lage in Österreich? 

Wir sind in eine Lage geraten, in der sich Österreich gerade jetzt nicht befinden sollte: Im Inneren unberechenbar, international blamiert. Das politische Chaos hat viele Väter und Mütter – zu suchen vor allem in der ÖVP im Bund und in den Ländern.

War der Schritt zur Seite von Sebastian Kurz der richtige Schritt oder hätte er völlig aus der Politik aussteigen sollen?
Sebastian Kurz hätte erkennen müssen, dass sein Spiel und das seiner Bewunderer verloren ist. Innerhalb von 24 Stunden von Trotzhaltung in einer Stellungnahme im ORF auf großzügigen Rückzug – aber auch nur halbherzig – umzuschalten, war peinlich. Er sollte sich zurück ziehen, reflektieren, sein Studium beenden und neue Wege gehen – auch um seiner selbst willen. 

»Daran zeigt sich die Dummheit der Kurz-Truppe. Es hätte dieser Umfragen gar nicht bedurft
Anneliese Rohrer zu den gekauften Umfragen

Wie schätzen Sie den neuen Bundeskanzler Alexander Schallenberg ein? Wird er selbstständig agieren oder hängt er an den Fäden von Kurz? 
Schallenberg ist eine Verlegenheitslösung mit Potenzial. Leider hat er bisher opportunistische Züge erkennen lassen: einmal als Unabhängiger, dann schnell als Teil des »Teams Kurz«, schließlich als »türkiser Überzeugungstäter«. So lange Kurz Klubchef der ÖVP ist, wird Schallenbergs Eigenständigkeit eingeschränkt sein. Es ist tatsächlich selbstverständlich, dass er sich mit Kurz in dessen jetziger Funktion eng abstimmen muss. Alles andere wäre demokratiepolitisch absurd. Die Frage ist, ob er das Marionetten-Image ohne Zerwürfnisse in der ÖVP abstreifen wird können. 

Was wiegt für Sie in der aktuellen Affäre um die ÖVP schwerer: Die strafrechtlichen Aspekte oder die moralische Verrohung?
Die moralische Verrohung. Aber in diesem Punkt sind die Väter und Mütter des Sebastian Kurz in der ÖVP mit schuld. Es ist nicht glaubhaft, dass sie von den Machenschaften, der Art, wie Macht ausgeübt wurde, nichts mitbekommen haben. Die ständige Berufung auf das Strafrecht ist verlogen. In der Politik geht es nicht nur darum. Man konnte sehen, wohin die Verrohung führte: Zum Angriff auf die Institutionen, zur Verachtung des Parlaments, der Justiz etc. Niemand ist Kurz in die Parade gefahren oder hat ins Ruder gegriffen. 

Wie sehr, glauben Sie, haben die vermeintlich gekauften und angeblich verfälschten Umfragen die Vorgänge in der ÖVP und letztlich auch die Entscheidung der österreichischen Wähler beeinflusst?
Daran zeigt sich die Dummheit der Kurz-Truppe. Es hätte dieser Umfragen gar nicht bedurft. Auch nicht frisierte Erhebungen haben Kurz als Hoffnungsträger der ÖVP ausgewiesen. Umfragen zum persönlichen Vorteil aber – wenn es stimmt – auch noch mit Steuergeld zu finanzieren, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten gewesen. 

Wie sehr wurde durch die Inseratenaffäre in der Causa Kurz das Ansehen von den Medien, allen voran Zeitungen, beschädigt? 
Erheblich. Auch das ist extrem schädlich, denn es geht um Vertrauen und Glaubwürdigkeit, ohne die langfristig keine Demokratie auskommt. Es ist zu hoffen, dass Medieninhaber und Journalisten das jetzt nachhaltig diskutieren, Vorschläge zur Verbesserung  und Druck auf die Politik für Änderungen machen. Viel Optimismus ist nicht angebracht. Die Inseratenkorruption ist nicht neu. Bisher gab es auf keiner Seite einen besonders ausgeprägten Willen zu Veränderung. Sie wäre jedoch leicht in die Wege zu leiten: Inserate offizieller Stellen nur nach strikten Informationsregeln, Verbot von Propaganda. Das kann man gesetzlich festlegen. Erhöhung der transparent gestalteten Presseförderung. 

»Die Frage ist, ob er das Marionetten-Image ohne Zerwürfnisse in der ÖVP abstreifen kann«
Dieselbe über den neuen Bundeskanzler

Sie kommentieren seit über 45 Jahren die österreichische Innenpolitik. Wie hat sich die Politik in dieser Zeit verändert? 
Bezogen auf die aktuellen Vorfälle hat sich die Politik entschieden verbessert. Dinge, die jetzt ans Licht kommen, waren früher gängige Praxis und niemand hat es kritisiert. Auch die Medien nicht. Zum Beispiel: Offizielle Stellen inserierten in Parteizeitungen, auch mit Steuergeld. Früher nannte man das Druckkostenbeitrag. Die Veränderungen sind aber hauptsächlich den sozialen Medien und den neuen technischen Ermittlungsmöglichkeiten geschuldet. Ohne Kurznachrichten, Chats, digitalen Schriftverkehr etc. wäre auch jetzt nicht viel ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. Diese Entwicklung ist bei allen Problemen des Schutzes der Privatsphäre etc. positiv zu sehen. Auch gibt es eine viel stärkere Sensibilisierung in punkto Korruption. Noch nicht stark genug, aber stärker als in der Vergangenheit. 

Sie sind seit 1974 bei der Tageszeitung »Presse«. Was war Ihrer Meinung nach der größte politische Skandal, der Österreich jemals erschüttert hat. 
Die Lucona-Affäre der achtziger Jahre, weil sie sechs Menschen das Leben gekostet hat und der Täter,  Udo Proksch, jahrelang unter dem Schutz von SPÖ-Politikern gestanden ist, die eine gerichtliche Verfolgung verhindert haben. Hier ging es um Tote, bei allen anderen Skandalen um Geld. 

Viele Menschen holen sich ihre Information von Facebook, Twitter, TikTok, diversen Blogs usw. Wie können seriöse Medien dem entgegenwirken?
Indem sie in ganze Abteilungen für Fakten-Überprüfung investieren und alle Fake News öffentlich machen. Das wäre ein Dienst an der Demokratie, erfordert aber mehr Mittel und Personal. 

Journalisten werden immer wieder Ziel von untergriffigen Kommentaren. Kennen Sie das auch aus persönlicher Erfahrung?
Ja! Die waren in den letzten Jahren bei meiner distanzierten Haltung zu Sebastian Kurz so häufig wie seinerzeit bei meiner Kritik an Jörg Haider. Frauenverachtend. 

Alles verlagert sich ins Internet. Wie lange wird es Printmedien noch geben? 
Noch lange, jedenfalls jene Printmedien, die sich wieder der Qualität zuwenden. Die deutsche Wochenzeitung »Die Zeit« oder die »New York Times« sind die besten Beispiele. Print wurde schon tot gesagt, erlebt aber gerade im Qualitätssegment wieder einen Aufschwung. Es geht nicht um entweder-oder, sondern um sowohl als auch. Noch nie gab es so viele Informationsmöglichkeiten. Nur glaubwürdig müssen sie sein. 

Welche Kanäle sollte ein moderner Journalist bespielen, oder reicht das Schreiben für die Printausgabe einer Zeitung?
Eine Fehlentwicklung ist die Parole: Alle Journalisten sollen alles machen können. Schreiben, Podcast, Videos, Fotos. Jeder und jede hat andere Stärken. Diese sollten zum Einsatz kommen. Das erfordert aber wieder Mittel und Personal.  Alles andere untergräbt die Qualität. 

Sie sind in Wolfsberg geboren. Haben Sie noch Verbindungen ins Lavanttal?
Nein. Ich war in diesem Sommer zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in Wolfsberg.

// Zur Person

Anneliese Roher  wurde am 24. September 1944 in Wolfsberg geboren. Sie wuchs bei ihrer Mutter in Klagenfurt auf, ihr Vater war im Zweiten Weltkrieg gestorben. Nach der Matura 1963 erhielt sie ein Stipendium in Toledo, Ohio (USA).
Nach ihrer Rückkehr nach  Österreich studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität Wien, wechselte dann aber zur Geschichte und promovierte 1971 zum Dr. phil.
Danach war sie drei Jahre als Universitätsassistentin in Auckland (Neuseeland) tätig. 1974 begann sie bei »Die Presse«. 1987 übernahm sie dort die Leitung des Ressorts Innenpolitik. 2001 wechselte sie in das Ressort Außenpolitik, das sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2004 leitete. 2005 erschien das Buch »Charakter Fehler. Die Österreicher und ihre Politiker«. Von 2006 bis 2009 schrieb sie im »Kurier« und kommentierte das politische Geschehen. Seit 2010 schreibt Rohrer wieder regelmäßig für »Die Presse«. 
Rohrer erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde 2011 zur Journalistin des Jahres – »Preis für das Lebenswerk« – und 2018 sowie 2020 zur Journalistin des Jahres in der Kategorie Kolumnisten gewählt.

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