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Oksana Shabalina: »Wir wurden durch einen Knall geweckt, wenig später schlugen noch zwei Raketen ein« Ausgabe 11 | Mittwoch, 16. März 2022

Die Ukrainerin Oksana Shabalina (35) spricht mit den Unterkärntner Nachrichten über die Flucht aus der Ukraine zu ihren Verwandten nach Wolfsberg, wie sie den Krieg erlebte, was sie in Österreich macht und eine mögliche Rückkehr in die Ukraine nach Kriegsende.

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Unterkärntner Nachrichten Redakteur Michael Swersina Von Michael Swersina m.swersinano@spamunterkaerntner.at
Links: Ein Bild vom Grenzübergang zur Slowakei in Tschop, wo die Flüchtlinge über die Grenze in die EU kommen. Rechts: Oksana Shabalina (Mitte) mit ihren beiden Kindern, dem 17-jährigen Maksym und der zwölfjährigen Tochter Karina, in ihrer Unterkunft bei ihrer Tante in Wolfsberg.Fotos: Privat (1), UN/much (1).

Artikel

Wolfsberg. In unserer Ausgabe UN9/2022 vom 2. März berichteten wir über das Wolfsberger Ehepaar Galina und Gerhard Hermann, das um seine Verwandten Oksana, Karina und Maksym Shabalin in der Ukraine bangte. Mittlerweile ist ihnen die Flucht gelungen und sie sind unverletzt in Wolfsberg angekommen.

Wann bzw. wie haben Sie davon erfahren, dass Russland der Ukraine den Krieg erklärt und mit dem Angriff begonnen hat? 
Wir haben nicht damit gerechnet, dass Russland einmarschieren würde, das kam für uns völlig überraschend. Am 24. Februar wurden wir durch einen lauten Knall aufgeweckt. Da haben wir dann gesehen, dass wir angegriffen werden. Wenig später sind zwei weitere Raketen eingeschlagen. Es war ein Angriff auf einen ukrainischen Militärstützpunkt bei Odessa. 

Was haben Sie dann gemacht?
Wir wussten, dass wir schnell von dort weg müssen. Meine Kinder und ich haben sofort das Notwendigste – Kleidung und ein bisschen Essen – in zwei kleine Taschen gepackt. Ein Nachbar hat uns dann in ein kleines Dorf gebracht, wo wir zehn Tage waren.

Wann haben Sie sich dazu entschlossen, die Ukraine zu verlassen?
Nach zehn Tagen kehrten wir nach Odessa zurück, es war schlimm. Alle Geschäfte waren geschlossen und es gab ständig Luftangriffe. Uns war klar, wir müssen weg. Unser erster Gedanke war, dass wir nach Moldawien fliehen. Aber meine Tante Galina Hermann hat dann gemeint, wir sollen zu ihr nach Wolfsberg kommen, sie würde uns helfen.

»Wir hatten Angst, dass wir keinen Platz bekommen und auf einen späteren Zug warten müssten«
Oksana Shabalina über die Flucht

Wie ging es weiter?
Mit dem Zug konnten wir bis Tschop, das ist eine Stadt an der Grenze zur Slowakei, fahren und so gelangten wir in die Slowakei. Dort gab es bereits sehr viele Helfer, die die vielen Flüchtlinge unterstützt haben. Es gab Essen und sie haben uns auch Tickets für die Zugfahrt nach Österreich gekauft, da wir unser ukrainisches Geld nicht wechseln konnten. So sind wir dann über Wien nach Graz gekommen, wo uns meine Tante und ihr Ehemann Gerhard abgeholt haben.

Wie war die Zugfahrt bis zur slowakischen Grenze? Gab es Kampfhandlungen, waren viele Flüchtlinge im Zug?
Die Zugfahrt war ruhig, es gab keine Kampfhandlungen entlang der Eisenbahnstrecke. Die Waggons waren mit Menschen überfüllt. Wir hatten zunächst Angst, dass wir keinen Platz bekommen würden und auf einen späteren Zug warten müssten. Aber es ist uns in letzter Sekunde geglückt, einen Platz zu ergattern.

Sind noch Familienmitglieder von Ihnen in der Ukraine?
Ja, meine Mutter und mein Bruder sind noch in der Ukraine. Sie sind in einem kleinen Dorf, dass mittlerweile auch bombardiert wird. Bis jetzt konnten wir noch via Internet den Kontakt mit ihnen aufrechterhalten. Bislang gab es dort nur kleinere Kampfhandlung. Es wurde ein russischer Panzer zerstört und ein Flugzeug abgeschossen.

Warum sind Ihre Mutter und Ihr Bruder nicht auch geflohen?
Meine Mutter ist schon sehr alt und sie wird in der Ukraine bleiben. Sie hat gesagt: »Ich wurde hier geboren und werde auch hier sterben.« Mein Bruder, er ist 36 Jahre  alt, wird ebenfalls bleiben und für sein Vaterland kämpfen. 

Sie sind am 10. März in Graz angekommen, wo Sie von Ihrer Tante und deren Ehemann abgeholt wurden. Was war das für ein Gefühl?
Es war einfach unbeschreiblich und wunderschön. Es war so ruhig. Man hörte keine Bomben und Schüsse, es gab keine Alarmsirenen. Es war überwältigend.

Wollen Sie wieder zurück in die Ukraine oder möchten Sie in Österreich bleiben?
Jetzt müssen wir einmal den Krieg abwarten. Wir wissen natürlich nicht, wie lange er dauern wird. Ich würde aber natürlich, wenn der Krieg beendet ist und es die Situation zulässt, gerne wieder in die Ukraine zurückkehren. Aber wir wissen im Moment ja nicht, wie sich das weiterentwickeln wird und ob wir nach Kriegsende überhaupt zurückkehren können.

Was glauben Sie, wie lange der Krieg dauern wird?
Wir gehen davon aus, dass es ein sehr langer Krieg werden wird. Der russische Präsident Wladimir Putin möchte ja die gesamte Ukraine einnehmen. Aber die Ukrainer werden bis zum letzten Mann kämpfen. Putin hat bereits mehrmals versucht, Wolodymyr Selenskyj, den Präsidenten der Ukraine, von seinen tschetschenischen Kämpfern töten lassen. Die Anschläge sind aber fehlgeschlagen.

Wird Putin den Krieg noch  brutaler führen?
Auf alle Fälle. Wenn notwendig, wird er alles zerbomben. Er macht ja auch jetzt schon keinen Halt vor zivilen Zielen. Erst diese Woche wurden eine Geburtsklinik und Krankenhäuser beschossen und bombardiert.

Jetzt sind Sie erstmals in Österreich in Sicherheit. Wollen Sie in Wolfsberg bleiben?
Natürlich würden wir gerne erstmal im Lavanttal bleiben. Meine Tante und ihre Familie sind ja auch hier. Aber wir müssen abwarten, was die Kärntner Landesregierung entscheidet. Wir haben uns bereits bei der Flüchtlingsstelle gemeldet und warten nun auf eine Antwort.

Möchten Sie in Österreich auch arbeiten?
Ich würde sehr gerne arbeiten, auch mein Sohn Maksym möchte schnell einen Job finden. Er war in der Ukraine Fabriksarbeiter. Uns wäre egal, um welche Arbeit es sich handelt, wir möchten einfach arbeiten. Meine Tochter Karina würde gerne wieder in die Schule gehen. Sie war in der Ukraine in der siebenten Schulstufe. Aber wir müssen auf die Informationen des Flüchtlingsreferats warten, wie das mit der Arbeit für uns möglich ist. Bis dahin sind wir bei meiner Tante in Wolfsberg untergebracht.

Sind Sie jetzt das erste Mal in Österreich?
Ich war 2018 schon in Wolfsberg zu Besuch bei meiner Tante.

(Während des Interviews wurde plötzlich eine Sirene in Wolfsberg aktiviert, Oksana zuckte zusammen.) Wie geht es Ihnen, wenn Sie eine Sirene hören?
Das erschreckt mich noch immer. In der Ukraine hat das bedeutet, dass gleich Raketen einschlagen werden oder ein Bombenangriff auf uns zukommt und wir schnell Schutz suchen müssen. 

Wie war Ihr erstes Wochenende im Lavanttal?
Es waren sehr schön Tage. Alles war so ruhig und entspannt. Wir haben die Gegend erkundet und uns von den Reisestrapazen erholt. Es war so schön. So hohe Berge kenne ich aus meiner Heimat gar nicht. Wir haben dann auch noch beim Verladen von Hilfsgütern mitgeholfen. 

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