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Gert Polli: »Wenn man mich mit Geheimdiensten in Verbindung bringt, war ich eher ›M‹ als 007« Ausgabe 19 | Mittwoch, 11. Mai 2022

Der Lavanttaler Gert-René Polli (61), einst Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, berichtet, wie man zum Geheimdienst kommt, spricht über den Einfluss der Geheimdienste im Ukrainekrieg und sein Buch »Schattenwelten«.

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Polli vor der Jacht eines Milliardärs in London. Foto: privat

Würden Sie sich als Geheimagent bezeichnen?
Genau genommen gibt es in Österreich keinen Geheimdienst. Das ist ein Begriff, der sich weltweit eingebürgert hat und den vor allem der Schriftsteller Ian Fleming mit der Agentenfigur James Bond salonfähig gemacht hat. Jeder sogenannte Geheimdienst hat aber seinen landesspezifischen Namen. In Österreich führte er, zu meiner Zeit als Direktor, die Bezeichnung BVT – Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Wenn Sie mich schon mit dem Milieu der Geheimdienste in Verbindung bringen wollen, so war ich eher »M« (Anm.: »M« ist in den James-Bond-Filmen der Leiter des britischen Geheimdiensts) als 007. 

Wie lautet dann die offizielle Bezeichnung dafür?
Die Berufsbezeichnung ist eher nüchtern und trocken: Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Zu den Aufgaben zählt natürlich auch die Spionageabwehr und vieles mehr. Auf den zweiten Blick war das BVT eine der zentralsten Sicherheitsbehörden des Landes. Das Amt wurde nach vielen medial aufgeputschten Skandalen unter meinem Nachfolger schließlich neu aufgestellt und umbenannt. Heute heißt die Behörde DSN – Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst. 

Wie kommt man eigentlich zum Geheimdienst?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand wie ich, ein gelernter Tischler aus St. Paul, 40 Jahre danach als Leiter einer solchen Sicherheitsbehörde wiederfindet. Rückblickend war es ein sehr mühsamer Weg. Nach der Matura am zweiten Bildungsweg über die Theresianische Militärakademie und nach vielen Auslandsaufenthalten landete ich beim militärischen Geheimdienst HNaA (Heeres-Nachrichtenamt). Parallel dazu absolvierte ich ein Studium an der Universität Wien, später in den USA an der Naval Postgraduate School in Kalifornien, einer Eliteuniversität, die von der US-Navy betrieben wurde. Dann endete meine militärische Karriere und der damalige Innenminister Ernst Strasser hat mich von dort abgeworben –meine Laufbahn im Innenministerium begann: Erst als Leiter der österreichischen Staatspolizei und dann als Direktor des neu geschaffenen BVT, das ich bis 2008 leitete. In diesem Milieu sagt man: Einmal Geheimdienst, immer Geheimdienst. Da ist schon was Wahres dran.

Welche Ausbildung gibt es dafür?
Keine! Ich könnte nicht einmal sagen, dass eine spezifische Ausbildung für eine solche Funktion erforderlich war oder ist. Ehrenrettend kann ich allerdings aus heutiger Sicht sagen, dass ein einschlägiger geheimdienstlicher Hintergrund auch kein Hindernis für eine solche Kariere ist. Wie so oft in Österreich, so trifft das auch auf meine Kariere zu: Es ist eine Mischung aus einschlägiger Berufserfahrung, aber auch dem Umstand zu verdanken, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle präsent gewesen zu sein. Nein, nach einer einschlägigen Ausbildung hat man mich nie gefragt. 

Sie waren Gründer und erster Direktor des BVT, wie ist es dazu gekommen?
Wie ich in meinem Buch beschreibe: Es begann alles sehr eigenartig. Zurück aus dem kalifornischen Monterey 2002 erhielt ich eines Abends einen Anruf. Der Anrufer stellte sich als Innenminister vor. Mir fiel nicht Besseres ein, als zu antworten: »Das kann jeder sagen!« So holprig begann meine Kariere im Innenminister.

Wie ist das BVT nach den Affären in den vergangenen Jahren heute aufgestellt?
Es war für mich nicht angenehm zu beobachten, wie das BVT nach meiner Amtszeit in alte Verhaltensmuster zurückfiel. Die Neuausrichtung 2021 war notwendig. Die Organisation wurde neu aufgestellt, Leitungsfunktionäre neu bestellt. Ich glaube, dass die neue Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienste noch einen langen Weg vor sich hat.

Welche Persönlichkeit braucht man für diesen Job?
Die Antwort wird Sie erstaunen. Es ist nicht so sehr die Fachexpertise, die hier gefordert ist. Dafür hat man ja eine große Anzahl erfahrener Mitarbeiter. Was man allerdings vom ersten Tag an braucht,  ist die Fähigkeit, nicht von einem politischen Fettnäpfchen ins andere zu springen. Diese Funktion ist an der Nahtstelle zwischen Beamtenschaft und Politik angesiedelt. Und gerade dort kann es sehr heiß und unerträglich werden. Jemand hat einmal den Begriff »situationselastisch« geprägt. Das beschreibt die optimale Persönlichkeit für eine solche Funktion wohl am besten. Leider verfügte ich damals über diese Eigenschaft nicht – und ich glaube, auch heute nicht.

Wie gehen Familie und Freunde mit so einem Beruf um?
Es ist vor allem die Familie, die zu kurz kommt. Die Tätigkeit endet nicht täglich um 16 Uhr. Vielmehr ist das ein Job, der 24 Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche permanente Bereitschaft erfordert. Ich erinnere mich an die Erstkommunion meiner Tochter, die ich verlassen musste, um mich um einen angeblichen Anschlag auf den Kärntner Landeshauptmann zu kümmern. Solche Beispiele gebe es viele. Andererseits kann man über die Arbeit weder mit der Frau noch mit seinen Freunden Klartext sprechen. Wenn ich spät abends nach Hause kam und meine Frau bereits zu Bett gegangen war, kam es vor, dass sie mich schlaftrunken fragte, wie der Tag gewesen sei. Meine Antworten müssen so langweilig gewesen sein, dass sie schon nach kurzer Zeit wieder im Tiefschlaf war. Aber: Der Tag war mörderisch, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das war kein Einzelfall.

Was waren Ihre herausforderndsten Einsätze?
Aus operativer Sicht waren es sicher die Geiselnahmen österreichischer Staatsbürger in Nordafrika und im Nahen Osten. Solche Einsätze verlangen einem alles ab und sind überdies unkalkulierbar gefährlich. In meinem Buch ist ein solcher Einsatz und das, was sich im Hintergrund abspielte, beschrieben. Gerade diese Geiselnahme endete tragisch für die Geisel. Auch mit solchen Situationen muss man zurechtkommen.

Sie waren für Lösegeldverhandlungen verantwortlich. Gehen solche Geschichten eher positiv oder negativ für die Entführten aus?
Jeder Fall ist anders. Was aber gleich bleibt, ist der Umstand, dass solche Geisellagen im Ausland die österreichische Sicherheitslandschaft bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen. Kein anderer Anlassfall fordert eine so enge Koordination aller beteiligter Ressorts. Nicht nur die des Außenministerium, sondern auch die der Geheimdienste, seien sie nun militärischer oder ziviler Natur. Das ist die Stunde der Geheimdienste, die im Hintergrund ihre Fäden ziehen. Verbindungen und gute Kontakte, akkurate Informationen, das ist das Rezept für einen guten Ausgang. Viele solcher Fälle sind gut ausgegangen, aber nicht alle. Was ich allerdings in all den Jahren nie erlebt habe war, dass sich eine erfolgreich nach Österreich zurückgebrachte Geisel bei mir bedankte.

Sie haben einmal gesagt, Wien sei ein Spionagezentrum. Warum ist das so?
Ich würde sogar so weit gehen, Wien als Zentrum in der Welt der Spionage zu sehen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Aber der wohl wichtigste ist, dass Spionage in Österreich nur strafbar ist, wenn sie sich gegen Österreich richtet. Für die ausländischen Nachrichtendienste ist das ein gefundenes Fressen. So können von Österreich aus nachrichtendienstliche Operationen in Nachbarstaaten bequem betrieben werden. Heute, im Lichte des Krieges in der Ukraine, rächt sich diese nonchalante Haltung des Gesetzgebers. Die russischen Geheimdienste agieren von österreichischem Boden aus und befeuern dadurch nicht unwesentlich den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. 

Welche Rolle spielen Spionagetätigkeiten beim Krieg zwischen Russland und der Ukraine?
Der russische Angriffskrieg hat lange vor dem Einmarsch russischer Truppen begonnen. Schon Jahre davor wurden die Weichen dafür gestellt. Nachrichtendienste sind die eigentlichen Betreiber dieses Krieges. Und ich meine hier nicht nur die russischen Nachrichtendienste. Wir haben es mit einem Multiorganversagen der globalen Intelligence Community zu tun. Die russischen Nachrichtendienste konnten ihrem Präsidenten kein akkurates Lagebild über die Standhaftigkeit der Ukraine vermitteln. Selbst die operative und taktische Fähigkeit der eigenen russischen Streitkräfte wurde falsch eingeschätzt. Auch der ukrainische Dienst lag in seiner Beurteilung der russischen Invasionsbereitschaft falsch. Und was die Dienste der NATO- und EU-Mitgliedstaaten anbelangt, kann diesen vorgehalten werden, den sich aufbauenden Konflikt in seiner Konsequenz nicht erkannt zu haben. Mehr denn je sind es Nachrichtendienste und Geheimdienste, die den Krieg im Hintergrund steuern. Sie tun dies bevorzugt von sicherem österreichischen Territorium aus. Den Ausgang des Krieges entscheidet ganz wesentlich die Arbeit der Geheimdienste.

Bei 9/11 vermuten viele Menschen, dass es eine False Flag-Operation war. Wie sehen Sie das?
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Natürlich kenne ich diese Spekulationen. Es waren meine ersten elf Tage im Innenministerium, als ich im dortigen Einsatzzentrum den von CNN live übertragenen Terroranschlag ungläubig mitverfolgte. Und, ja, es gab erfahrene alte Hasen im Geschäft, die von einer solchen False-Flag-Operation ausgingen. Ich gehörte damals nicht dazu. Obwohl, dieser Terroranschlag hat nicht nur die Welt der Geheimdienste nachhaltig verändert. Damals wurde von der NATO der sogenannte Bündnisfall ausgerufen. Das bedeutet, dass sich die NATO im Kriegszustand mit den Akteuren des Terroranschlages befand. Das gilt bis zum heutigen Tag. In der Folge wurde ein weltweites Überwachungsregime fast kritiklos implementiert. Betreiber waren die Nachrichtendienste, allen voran die amerikanischen. Die Snowden-Affäre hatte uns im Nachhinein die Augen geöffnet. Die PAX-Amerikana hat sich seitdem nicht nur in Europa durchgesetzt. Vielleicht allerdings wurde nur die Gunst der Stunde ausgenutzt. Nein! Ich bin nicht der Auffassung, dass es sich bei den Anschlägen von 9/11 um eine False-Flag-Operation handelte.

Warum haben Sie nun ein Buch geschrieben?
Das war eigentlich nie meine Absicht. Was ich wollte, war, ein kleines Büchlein über meine Gedanken am Jakobsweg 2006 zu schreiben. Den Weg trat ich an, um all die Intrigen und Bösartigkeiten hinter mir zu lassen, die mir in meiner Funktion täglich begegneten. Schließlich wurde das Buch eine Art Lebensbekenntnis einer ungewöhnlichen Laufbahn und eines ungewöhnlichen Lebens.

Worum geht es in diesem Buch?
Im Zentrum steht die Zeit an der Spitze des österreichischen Geheimdiensts und die verschlungenen Wege, wie es dazu kam. Das Buch ist aber auch eine Art Autobiografie mit sehr persönlich gehaltenen Momenten. Was das Buch jedoch besonders macht, ist die persönliche Perspektive, aus der es erzählt wird. Es war mir auch wichtig, meinen frühen Werdegang in Kärnten zu integrieren, um den Menschen hinter der Funktion herauszuschälen. Die darin enthaltenen Kurzgeschichten sind ein kleiner literarischer Spaziergang hinter die Kulissen der österreichischen Geheimdienste und ihrer Auftraggeber. Was das Buch nicht ist: Es ist kein Aufdeckerbuch und schon gar keine Abrechnung mit dem System. Vieles, was dieses Buch ausmacht, liest sich zwischen den Zeilen. 

Verraten Sie in Ihrem Buch auch Geheimnisse?
Ich nehme den Leser mit in eine Welt, die ihm bisher verschlossen blieb. Geheimnisse sind auch Geschichten, die nie erzählt wurden. 

Wird das Buch auch im Lavanttal vorgestellt?
Ja, am 20. Mai in St. Paul im Rathaussitzungssaal, wo ich ab 19.30 Uhr zu einer Lesung eingeladen bin. 

Gibt es im Lavanttal geheimdienstliche Aktivitäten?
Sie werden wohl niemanden aus der Intelligence Community finden, der Ihnen darauf eine Antwort gegen würde. Ich bin aber sicher, Sie verstehen das.

Sie waren viel auf der ganzen Welt unterwegs. Wie gefällt Ihnen das Lavanttal und was schätzen Sie daran? 
In St. Paul wurde ich geboren und dort bin ich auch aufgewachsen, und in Wolfsberg ging ich zur Lehre. Das Lavanttal ist meine Heimat und mein Ruheraum. Manchmal ertappe ich mich beim Gedanken, mich später einmal dahin zurückzuziehen, wenn die Stürme des Lebens allmählich abebben. 

 

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