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Rot-Kreuz-Chef Michael Opriesnig: »Der Bedarf an humanitärer Hilfe wird weltweit immer höher« Ausgabe 10 | Mittwoch, 5. März 2025

Der Generalsekretär des Roten Kreuzes, Michael Opriesnig (60), spricht über Herausforderungen in Krisenzeiten, die unverzichtbare Rolle der Freiwilligen und gibt Einblicke in die Arbeit des Roten Kreuzes und wie es um den Nachwuchs bei der Organisation bestellt ist.

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Mitarbeiter des Roten Kreuzes waren auch bei der Terrorattacke in Villach im Einsatz, bei der ein 14-Jähriger zu Tode kam. Wie gehen die Mitarbeiter damit um?  
Kurz nach dem Anschlag haben Kollegen des Roten Kreuzes Kärnten ein Betroffenencafé in Villach eingerichtet. Personen, die das Ereignis miterlebt haben oder sich auf andere Weise betroffen fühlten, konnten dort in geschützter Atmosphäre mit Kriseninterventionsmitarbeitern reden und Wege zur Bewältigung finden. An mehreren Schulen in Villach und Klagenfurt waren Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes vor Ort. Nach solchen Ereignissen stellen sich einige Fragen, viele haben Angst – Kinder wie Erwachsene. Unsere Kollegen waren, wie vermutlich jeder Mensch in Österreich, natürlich betroffen.  

Wurden die Mitarbeiter des Roten Kreuzes nach diesem schweren Einsatz psychologisch betreut?  
Sogenannte Peers, also speziell geschulte Kollegen, helfen den Einsatzkräften bei der Bewältigung belastender Ereignisse und klären ab, ob es weiteren Bedarf an psychologischer Betreuung gibt. Heutzutage ist es selbstverständlich, dass viele Rotkreuz-Mitarbeiter diese »Hilfe für die Helfer« in Anspruch nehmen. 

Auch die Kollegen in Kärnten haben in Gesprächen mit geschulten Personen das Erlebte gemeinsam verarbeitet. 

Werden die Mitarbeiter bereits im Vorfeld geschult, um mit solchen Vorfällen umzugehen? 
Wir schulen unsere Mitarbeiter dahingehend, dass wir sie auf verschiedene Szenarien und ihre möglichen Reaktionen darauf vorbereiten und ihnen Bewältigungsstrategien mitgeben. Das in der Realität zu erleben – zum Beispiel die Angst und Verzweiflung der Menschen nach einem Anschlag –, ist aber noch einmal etwas anderes. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir ein großes Netzwerk an Hilfestellungen für die Phase nach einem Einsatz haben. 

Was hat Sie persönlich dazu bewegt, beim Roten Kreuz aktiv zu werden? 
Der Zeitschriftenverlag, in dem ich davor als Geschäftsführer und Verlagsleiter tätig war, hat die Mitgliederzeitung des Roten Kreuzes produziert. Eines Tages hat mich einer der damaligen Geschäftsführer gebeten, den Bereich Marketing und Kommunikation beim Österreichischen Roten Kreuz aufzubauen. Ich habe mich sofort mit dem »Rotkreuz-Virus« angesteckt und die Entscheidung bis heute noch kein einziges Mal bereut.

Können Sie ein Erlebnis teilen, das Ihre Sicht auf die humanitäre Arbeit nachhaltig geprägt hat?  
Innerhalb des Roten Kreuzes bin ich für die internationalen Agenden zuständig. Auch in meiner Funktion als Vorstand bei »Nachbar in Not« war ich bisher in vielen Krisenherden dieser Welt unterwegs. Dort aus erster Hand zu sehen, wie wichtig unsere Hilfe ist und dass wir damit das Leben von Menschen in Not verbessern können, ist jedes Mal wieder ein prägendes Erlebnis. Besonders berührt hat mich unlängst zum Beispiel ein Besuch der ukrainischen Stadt Butscha nahe Kiew, wo im April vor drei Jahren hunderte Leichen, die meisten von ihnen Zivilistinnen und Zivilisten, gefunden wurden. Zivilbevölkerung ist im Krieg unbedingt zu schützen. Daran immer wieder zu erinnern, ist auch Aufgabe des Roten Kreuzes. 

Wie haben sich die Aufgaben des Roten Kreuzes in den vergangenen Jahren verändert, besonders in Anbetracht globaler Herausforderungen wie der Corona-Pandemie, Flüchtlingswellen und des Klimawandels?  
Unsere Welt ist klein geworden. Noch am selben Tag erfahren wir von Katastrophen und spüren unmittelbar, wenn am anderen Ende der Welt etwas passiert ist. Innerhalb weniger Stunden können wir unsere Mitarbeiter überall hin entsenden, beispielsweise in die Türkei nach dem verheerenden Erdbeben im Feber vor zwei Jahren. Angesichts der Klimakrise werden Extremwetterereignisse immer häufiger und intensiver, auch im Inland. Erinnern Sie sich an das Hochwasser in Niederösterreich im September 2024. Im Hinblick auf Krisenvorsorge und Katastrophenschutz sollten wir uns dann schon mal die Frage stellen: Wie lange noch können wir unser Freiwilligensystem in dieser Qualität aufrechterhalten, wenn Einsatzorganisationen wie das Rote Kreuz immer mehr Katastropheneinsätze bewältigen müssen? 

Welche aktuellen Projekte oder Initiativen des Roten Kreuzes liegen Ihnen besonders am Herzen?  
Unsere Hilfe in der Ukraine ist der bisher größte Einsatz des Österreichischen Roten Kreuzes seit dem Zweiten Weltkrieg. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen in Österreich bedanken, die uns in den vergangenen Jahren mit ihrer Spende unterstützt haben. Gleichzeitig bitte ich darum, dass wir weiterhin solidarisch mit unseren »Nachbarn« sind. Die Menschen in der Ukraine sind körperlich und psychisch ausgelaugt, sie haben nach wie vor jeden Tag Angst um ihr eigenes Leben. Das weiß ich nicht zuletzt aus persönlichen Gesprächen mit den Menschen bei meinen Besuchen. Wir müssen unsere lebensrettende Hilfe fortsetzen und dafür brauchen wir finanzielle Mittel.  

Wie wichtig ist die Rolle der Freiwilligen für das Rote Kreuz, und wie fördern Sie deren Engagement und Motivation?  
Die Freiwilligkeit ist eine der zentralen Säulen des Roten Kreuzes. Mehr als 75.000 Menschen engagieren sich bei uns freiwillig, sie leisteten 2024 knapp zehn Millionen Einsatzstunden. Wir sind damit eine der größten Freiwilligen-Organisationen des Landes. Das Engagement unserer Freiwilligen ermöglicht unser Engagement für die Gesellschaft in vielen Bereichen – vom Rettungsdienst über den Katastrophenschutz und die Gesundheits- und Sozialen Dienste bis hin zum Jugendrotkreuz.   

Für das Engagement und die Motivation unserer Freiwilligen aus Liebe zum Menschen möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Ich denke, der Dank und die Anerkennung, die sie bei ihren Tätigkeiten für das Rote Kreuz erleben, sind nicht mit Geld aufzuwiegen. Wir unterstützen sie mit adäquater Ausrüstung und Ausbildung, damit sie ihre Aufgaben effizient erfüllen können. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass ihr Engagement in der Öffentlichkeit sichtbar ist und ihre Qualifikationen auch im Berufsleben anerkannt werden.  

Wie viele Mitarbeiter  hat das Rote Kreuz in Österreich und wie viele im Bezirk Wolfsberg?  
Beim Österreichischen Roten Kreuz sind mehr als 10.000 Menschen hauptberuflich tätig, dazu kommen mehr als 75.000 Freiwillige. Im Bezirk Wolfsberg belaufen sich die Zahlen aktuell auf 80 hauptberufliche Mitarbeiter sowie rund 380 Freiwillige. 

Wie ist es um den Nachwuchs beim Roten Kreuz bestellt?  
Viele Männer kommen über den Zivildienst das erste Mal mit dem Roten Kreuz in Kontakt, außerdem erreichen wir etliche junge Menschen schon in der Schule mit dem Jugendrotkreuz. Für Frauen gibt es mit dem Freiwilligen Sozialjahr ebenfalls eine Möglichkeit, das Rote Kreuz über die Freiwilligkeit kennenzulernen. Viele der Menschen, die so mit uns in Kontakt treten, interessieren sich dann auch für eine berufliche Tätigkeit beim Roten Kreuz. Ich darf in diesem Zusammenhang auf unseren Jobfinder aufmerksam machen, hier kann man dank neuer Funktionen auf www.roteskreuz.at/jobs gezielt auch nach Rotkreuz-Jobs in der Region suchen. 

Speziell im Lavanttal haben wir sehr viele aktive Mitarbeiter, und einen Zuwachs von rund 70 Freiwilligen pro Jahr, verteilt auf alle Leistungsbereiche. Aber Freiwillige kann es nie genug geben, und wir freuen uns über alle Menschen, die sich engagieren wollen. 

Warum sollte man beim Roten Kreuz aktiv werden? 
Es gibt meiner Meinung nach keine erfüllendere Tätigkeit, als sich für Menschen in Not einzusetzen. Gerade in herausfordernden Zeiten wie diesen ist der Einsatz für unsere Mitmenschen wichtiger denn je. Ich habe bereits erwähnt, dass Dank und Anerkennung mit Geld nicht aufzuwiegen sind – diese Erfahrung kann man beim Roten Kreuz jeden Tag machen. Es sind sinnstiftende Tätigkeiten, die unsere Gesellschaft besser machen. Deswegen kann ich nur empfehlen, beim Roten Kreuz aktiv zu werden. 

Mit welchen Herausforderungen sind Sie als Generalsekretär des Roten Kreuzes konfrontiert?  
Die Weltordnung ist im Begriff, sich grundlegend zu ändern, und das spüren auch die Hilfsorganisationen, vor allem im internationalen Bereich. Der Bedarf an humanitärer Hilfe wird weltweit immer höher – wegen des Klimawandels werden Naturkatastrophen immer häufiger, jeder neue bewaffnete Konflikt scheint die früheren in Gewaltbereitschaft und Vertreibung zu übertreffen – während die finanziellen Mittel aber von vielen Seiten gekürzt werden. Das sehen wir nicht nur im Bereich der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch innerhalb Österreichs. Wenn finanzielle Mittel immer enger werden, wird es auch für uns als Rotes Kreuz zunehmend schwieriger, all unsere Dienstleistungen in der bisherigen Qualität aufrechtzuerhalten. Das muss auch allen politisch verantwortlichen Personen bewusst sein. 

// Zur Person

Michael Opriesnig ist 60 Jahre alt und stammt aus Völkermarkt. Nach Studien der Geschichte und Geografie an der Universität Wien war er von 1990 bis 1998 im Zeitschriften- und Magazinbereich tätig.
Seit 1998 ist er beim Roten Kreuz, von 2012 bis 2019 war er stellvertretender Generalsekretär, seit Juli 2019 ist Opriesnig Generalsekretär der Hilfsorganisation. Außerdem ist er seit 2003 Vorstandsmitglied der Stiftung »Nachbar in Not«.
Opriesnig ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von 25, 20 und acht Jahren.

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