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In Wolfsberg wurde vergangene Woche »Das Brauhaus« eröffnet. Wie ist die erste Woche verlaufen?
Die Resonanz war überwältigend. Wir hatten deutlich mehr Besucher, als wir ursprünglich erwartet hatten. Natürlich hilft die Vorweihnachtszeit, und bei einer Neueröffnung schaut jeder einmal vorbei. Viele wollten auch sehen, wie sich unser Küchenchef Bernie Jandl nach längerer Pause als Koch schlägt. Das Feedback war durchwegs positiv – das freut uns natürlich sehr.
Bereits Anfang 2024 wurde bekannt, dass die Lebenshilfe im ehemaligen Brauhof ein neues Restaurant eröffnen wird. Warum hat es bis zur Eröffnung so lange gedauert?
Weil wir ein inklusives Konzept wollten, das wirklich trägt. Dafür braucht es Partner – das Land Kärnten, das AMS, AutArK und viele andere. Bis alle an Bord waren, bis wir den Umbau geplant, ausgeschrieben und umgesetzt hatten, verging Zeit. Seit Corona dauern Bauprojekte ohnehin doppelt so lange. Und natürlich mussten wir das passende Personal finden.
Warum wurde für »Das Brauhaus« eine eigene GmbH gegründet?
Die Lebenshilfe betreibt bereits zwei GmbH, nun ist mit der IKU (Inklusive Kleinunternehmen) Gemeinnützige GmbH die dritte dazugekommen. Gastronomie ist ein eigener Bereich, der wirtschaftlich funktionieren muss. Für »Das Brauhaus« ist die klassische Finanzierung von Projekten der Lebenshilfe nicht gegeben. Wir wollten eine klare Struktur schaffen und gründeten die neue GmbH.
Sie sind seit 2011 Präsident der Lebenshilfe Kärnten und seit 2022 Präsident der österreichischen Lebenshilfe. Was hat Sie persönlich motiviert, bei der Lebenshilfe tätig zu werden?
Ich bin mit meinem Halbbruder Leopold aufgewachsen, der eine intellektuelle Beeinträchtigung hat. Für mich war er einfach mein Bruder. Aber ich habe früh gemerkt, wie anders Menschen mit ihm umgehen. Das hat mich geprägt. In Österreich gibt es bis heute keine inklusiven Kindergärten und Schulen – das erschwert den Umgang im Erwachsenenalter. Ich habe mir immer gedacht: Wenn ich einmal die Chance habe, etwas zu verändern, ergreife ich sie. 2011 war es so weit.
Wie kamen Sie zur Lebenshilfe und wie verlief Ihr Werdegang in dieser Organisation?
Kurz vor meiner Wahl zum Präsidenten war ich Mitglied des Kontrollausschusses. Danach ging alles schnell. Heute bin ich österreichweit der jüngste und zugleich längst dienende Präsident. Der gesamte Vorstand arbeitet ehrenamtlich – ohne Bezahlung. Angehörige und Fachleute sind darin vertreten. Mittlerweile sind auch Selbstvertreter – Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung – ein Teil des Vorstands, was mir besonders wichtig ist. Wir waren übrigens der erste Trägerverein in Österreich, der Selbstvertreter in den Vorstand brachte.
Was machen Sie hauptberuflich?
Ich betreibe eine Landwirtschaft, außerdem bin ich Geschäftsführer des Unternehmens Blistermed und Angestellter bei »team santé«.
»Inklusion nützt allen – sie lehrt Empathie, Geduld und soziale Kompetenz«
Anton Henckel-Donnersmarck, Präsident Lebenshilfe
Wie hat sich die Lebenshilfe in den vergangenen Jahren verändert?
Die Grundaufgabe ist gleich geblieben: Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung zu begleiten. Aber die Art der Unterstützung hat sich stark gewandelt. Weg von großen Wohnhäusern und Werkstätten, hin zu disloziertem Wohnen und echter Teilhabe. Unsere Projekte in Wolfsberg wie der Katzlhof, das TeeCafé »Lebensg‘fühl« und nun »Das Brauhaus« zeigen, dass Arbeit für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sinnstiftend sein kann.
Mit dem Projekt 27 – das Vorhaben soll Menschen mit Behinderung helfen, einen Job zu finden und eigenes Geld zu verdienen – gehen wir noch weiter: Gehalt statt Taschengeld, echte Anmeldung der Arbeitnehmer, echte Sozialversicherung. Das funktioniert in vielen Unternehmen bereits sehr gut.
Warum ist die Einbindung von Selbstvertretern so wichtig?
Weil nur Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung selbst sagen können, was sie brauchen. Ich erinnere mich an einen Umbau, den wir an einem Gebäude vornahmen, bei dem ein Assistenznehmer meinte: »Das ist alles ein Blödsinn.« Und er hatte recht. Für Menschen ohne Beeinträchtigung sind viele Ding oftmals ganz einfach, während sie für Menschen mit Behinderungen eine große Herausforderung darstellen.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Ganz klar: die fehlende Inklusion im Bildungssystem. Es gibt keine inklusiven Kindergärten, keine inklusiven Schulen, keinen Rechtsanspruch auf ein elftes oder zwölftes Schuljahr. Wenn Menschen nie Kontakt mit Menschen mit intellektuellen Behinderungen haben, entsteht Unsicherheit. Inklusion nützt allen – sie lehrt Empathie, Geduld und soziale Kompetenz.
Welche strukturellen Probleme gibt es?
Ein großes Problem ist der Föderalismus in Österreich. Jedes Bundesland hat eigene Gesetze und eigene Finanzierungssysteme. Gleichzeitig muss auch der Bund endlich Schritte setzen, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Unsere Assistenznehmer wollen arbeiten, wohnen, leben – wie alle anderen auch.
Wie sieht es mit der Unterstützung von Gemeinden aus?
Sehr unterschiedlich, aber grundsätzlich wohlwollend. Es hängt natürlich von den Projekten ab. Aber viele Gemeinden unterstützen unsere Angebote aktiv.
Welche Projekte treiben Sie besonders voran?
In Kärnten vor allem das Projekt 27. Außerdem bauen wir unsere Gastro-Schiene aus: zwei Cafés in Wolfsberg und Spittal, ein Bistro im LKH Villach gibt es bereits, und bald auch einen Standort im Lakeside-Park in Klagenfurt. Das sind alles Orte, die vorher leer standen – jetzt werden sie zu Orten der Begegnung, womit wir auch die Städte beleben.
Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?
Wer mit Assistenznehmern einen Kaffee trinken geht, merkt schnell, wie viel man zurückbekommt. Ich wünsche mit, dass sich mehr Menschen bei uns als Freiwillige engagieren. Das kann jeder tun, es geht darum, mit den Assistenznehmern etwas zu unternehmen, zum Beispiel etwas trinken zu gehen, spazieren zu gehen usw.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Dass unsere Assistenznehmer heute viel selbstständiger sind. Viele haben Ziele wie einen Urlaub zu machen, eine eigene Wohnung, eigene Mobilität. Und ich bin stolz auf unsere Gesellschaft, die diese Entwicklung nicht ablehnt, sondern unterstützt.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Inklusion ab dem Kindergarten. Und dass Eltern eines Kindes mit Beeinträchtigung von der Gesellschaft nicht mehr bemitleidet, sondern begleitet werden.

Von Michael Swersina
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