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Adele Lassenberger: »Brauchen ein differenziertes Hinschauen statt Skandalisieren und Bagatellisieren«Ausgabe 18 | Donnerstag, 2. Mai 2024

Adele Lassenbergrer (66), jahrelange Leiterin des DELFI Kinderschutzzentrums in Wolfsberg, spricht über die Pläne der Bundesregierung, die Strafmündigkeit herabzusetzen und Alternativen dazu, Herausforderungen für Eltern und Kinder sowie die »gesunde Watsche«.

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Unterkärntner Nachrichten Redakteur Michael Swersina Von Michael Swersina m.swersinano@spamunterkaerntner.at
Links: Immer wieder war Adele Lassenberger Gast bei verschiedenen Diskussionsrunden oder wurde als Expertin zu Rate gezogen. Rechts: Die 66-Jährige führte im Laufe ihrer Tätigkeit als Leiterin des Kinderschutzzentrums in Wolfsberg auch zahlreiche Veranstaltungen und Workshops durch. Fotos: KK

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Derzeit wird über eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre diskutiert. Was halten Sie als langjährige Leiterin des Kinderschutzzentrums in Wolfsberg davon? 
Ich halte nicht wirklich viel von diesem Vorschlag. Man hat sich ja etwas dabei gedacht, als die Grenze mit 14 Jahren festgelegt wurde. Bei Zwölfjährigen handelt es sich noch um Kinder. Es war eine altersgerechte Entscheidung, die Grenze bei 14 Jahren festzulegen. Würde die Grenze herabgesetzt werden, könnten zwölfjährige Kinder ins Gefängnis geschickt werden – und wir wissen ja, was in Gefängnissen passiert. Wir haben als Gesellschaft die Verantwortung, Kinder auf den richtigen Pfad zu bringen. Aus der Fachwelt ist übrigens niemand für eine Herabsetzung der Strafmündigkeit.

Aber es gibt immer wieder Fälle, bei denen Kinder schwere Straftaten begehen. Wie soll man damit umgehen?
Es gibt einige wenige Fälle, bei denen es wirklich eine Straffälligkeit laut Strafrecht gibt. Das sind tragische Fälle, bei denen jeder weiß, dass so etwas nicht vorkommen darf. Da reagiert die Politik oft rasch und mit Skandalisierung. Die Frage, die sich stellt, ist, wie man solche Fälle hätte verhindern können. Meine Erfahrung zeigt, dass es meist eine lange Vorgeschichte gibt, während der viel passiert ist und die genau beleuchtet werden muss. Die Thematik ist zu komplex, um einfach die Strafmündigkeit herabzusetzen: Wir brauchen ein differenziertes Hinschauen und kein Bagatellisieren und Skandalisieren.

Aber natürlich braucht es Maßnahmen, um den strafunmündigen Kindern zu zeigen, dass sie etwas Unrechtes getan haben. Dafür gibt es die Jugendwohlfahrt und andere Einrichtungen. Was bei der ganzen Diskussion nicht vergessen werden darf, ist, dass man auf die Opfer schauen muss. Wir müssen erreichen, dass sie sich Hilfe holen. Es muss auch Aufklärung für die Opfer geben. 

Es braucht klare Botschaften, Erwachsene müssen reagieren, wenn Kinder etwas mitteilen. Man weiß aus Untersuchungen, dass sich zum Beispiel bei Missbrauch ein Kind sieben Mal an einen Erwachsenen wenden muss, bevor es Hilfe bekommt. Das dauert zu lange.

»Wir haben als Gesellschaft die Verantwortung, Kinder auf den richtigen Pfad zu bringen«
Adele Lassenberger, Klinische Psychologin

Es scheint, als würden Straftäter immer jünger  werden. Ist das tatsächlich so? 
Die Berichterstattung von Anlassfällen ist gut und wichtig. Sie erweckt aber manchmal leider den Eindruck, dass die Situation mit jungen Straftätern immer schlimmer wird. Kinder sind heutzutage mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert als es vor 30 oder 40 Jahren der Fall war. Sie werden bereits in jüngeren Jahren mit Inhalten konfrontiert, die nicht für sie geeignet sind. Da muss beim digitalen Kinderschutz noch viel unternommen werden. Kinder können im digitalen Raum ungeschützt pornographische Inhalte konsumieren. Tägliche Postings und Berichte über Kriegs- und Gewalttaten tragen auch dazu bei, dass Kinder »lernen«, dass sich die Stärkeren durchsetzen.  Die Kinder werden schon sehr früh mit Inhalten konfrontiert, die ihrer Reife nicht entsprechen.

Was wäre notwendig, um dagegen vorzugehen?
Wie bereits erwähnt, bedarf es Schutz im digitalen Raum. Ich bin sehr froh darüber, dass die Bundesregierung erstmals Geld dafür in die Hand nimmt. Wir brauchen auch gute Sexualpädagogen. Kinder sind viel zu wenig aufgeklärt, und wir müssen mit ihnen von klein auf in altersgemäßer Sprache darüber reden. Aufklärung hilft dabei, dass sie früher verstehen, was passiert und wo sie sich Hilfe holen können.

Gibt es bestimmte Gruppen von Kindern, die besonders gefährdet sind, Straftaten zu begehen?
Wenn Kinder keine Bindungen haben oder mit der Meinung aufwachsen, dass man sich auf Beziehungen nicht verlassen kann, gehören solche Kinder sicher zur gefährdeten Gruppe. Oftmals ist damit eine ausgeprägte Selbstwertproblematik verbunden und Kinder fallen aus dem Bildungsbetrieb heraus. Da muss geschaut werden, dass man diese Kinder nicht verliert. Vor allem bei Burschen ist es wichtig, dass ein Vater vorhanden ist und es zu ihm eine Nähe gibt.

Wer wird eher straffällig: Burschen oder Mädchen?
Die Mädchen haben aufgeholt, aber es gibt noch immer mehr Burschen als Straftäter.

Was können Eltern dagegen tun und wo finden Sie Hilfe und Unterstützung?
Das Wichtigste ist, dass sich Eltern selbst Hilfe holen. Grundsätzlich finden sie diese in zahlreichen Beratungsstellen und natürlich auch bei der Kinder- und Jugendhilfe. Es gibt auch im Internet Anlaufstellen, Telefonnummern und Informationsmaterial.  Oftmals hilft es auch, mit Bekannten zu reden oder man sucht ein Gespräch mit Schulsozialarbeitern. Wichtig ist, dass man sich nicht zu schämen braucht, wenn man Hilfe sucht.

Wird die Hilfe auch oft in Anspruch genommen?
Meine positivste Erfahrung, seit ich 1992 bei der AVS angefangen habe, zeigt, dass Hilfsangebote generell vermehrt in Anspruch genommen werden. Die Menschen sind aufgeklärter und gehen selbstbewusst in eine Therapie. Viele haben erkannt, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, wenn man um Hilfe fragt bzw. sie annimmt. 

Was sind in der heutigen Zeit die größten Herausforderungen für Kinder und deren Eltern?
Es gibt sicher einiges, das leichter wurde, aber natürlich auch vieles, dass komplexer und schwieriger wurde. Für Kinder und Jugendliche ist es oftmals problematisch, dass sie in einer sehr diversen Welt aufwachsen und vieles nicht mehr so eindeutig und klar definiert ist, wie es früher war. Die Orientierung ist heutzutage für viele sicher schwieriger als früher und bedarf oftmals Unterstützung. Andererseits wissen viele Jugendliche heute mit 13 Jahren mehr, als ich seinerzeit mit 18 Jahren wusste.

Früher gab es die »gesunde Watsche«. Die wurde vor 35 Jahren gesetzlich verboten. Was sagen Sie dazu?
Bis die gewaltfreie Erziehung 1989 gesetzlich verankert wurde, hatten die Gegner der »gesunden Watsche« einen Argumentationsnotstand. Seither hat sich die Einstellung der Eltern aber positiv verändert. Zwei Drittel sagen mittlerweile, dass sie ihre Kinder gewaltfrei erziehen möchten. Allerdings meinen noch immer viele, dass es hin und wieder einen kleinen Klaps braucht. Und andere sagen: Wir hätten eine Watsche für ein Vergehen bekommen, aber wie soll ich mein Kind ohne Gewalt bestrafen?

Was sollen sie machen?
Eine gute Erziehung heißt, angemessen Grenzen und Regeln zu setzen. Dann kann man sich eher darauf verlassen, dass sie befolgt werden. Es darf sich aber nicht um Willkür der Eltern handeln, sondern man muss den Kindern zeigen, wie sie Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Ganz wichtig ist, dass Strafen einen Zusammenhang mit der Tat haben.

Ein Beispiel?
Ein Fernsehverbot soll dazu dienen, den Medienkonsum zu regeln und nicht als Bestrafung dafür, dass das Zimmer nicht aufgeräumt wurde.

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