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Dr. Rudolf Likar: »30 Prozent der Ungeimpften verlassen die Intensivstation über die Pathologie«Ausgabe 43 | Mittwoch, 27. Oktober 2021

Die Mediziner Rudolf Likar (62) spricht mit den Unterkärntner Nachrichten über die aktuelle Corona-Situation und die Belegung der Intensivbetten, wie er über eine Impfpflicht denkt, was er von impfkritischen Ärzten hält und wie er zum assistierten Suizid steht.

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Wie sieht es derzeit mit der Belegung der Intensivstationen in Kärnten und speziell in Wolfsberg aus? 
Insgesamt gibt es in Kärnten 14 Patienten auf den Intensivstationen, drei davon sind im LKH Wolfsberg. Zehn bis 20 Prozent der Patienten sind geimpft. Eine Impfung schützt vor schweren Verläufen, aber nicht vor einer Infektion. Wenn jemand ein schlechtes Immunsystem hat, kann ihn eine Impfung auch nicht vor der Intensivstation retten. Sehr wohl aber vor dem Tod. Hingegen verlassen 30 Prozent der Ungeimpften die Intensivstation über die Pathologie. 

»Was ich aber schlimm finde ist, wenn Ärzte den Menschen von der Impfung abraten«
Rudolf Likar, Intensivmediziner

Gibt es bestimmte Personengruppen, die am häufigsten schwer an Corona erkrankten?
Menschen, die ein nicht gut funktionierendes Immunsystem haben, sind natürlich am häufigsten betroffen. Wenn ein gesunder Mensch mit 20 Jahren sich nicht impfen lassen möchte, ist das noch okay. Aber wir müssen so weit kommen, dass sich die Risikogruppen, also Menschen mit hohem Blutdruck, Diabetes oder die adipös sind und ältere Menschen impfen lassen. 

Wie alt ist der jüngste bzw. der älteste Patient, den Sie wegen einer Coronainfektion auf der Intensivstation hatten?
Der älteste war mindestens Mitte 80, der jüngste ist 26 Jahre alt.

Was halten Sie von einer Impfpflicht?
Nichts mehr. Aber Motivation zur Impfung – ja.

Warum das? In einem ORF-Interview sprachen Sie sich für eine »Impfpflicht als einzigen Ausweg aus der Pandemie« aus.
Ich wollte damals, als gefordert wurde, das Gesundheitspersonal zu impfen, das Ganze spiegeln und sagte, machen wir eine Impfpflicht. Ich bekam dann Briefe und E-Mails und war der Nazi-Arzt usw. Das schreckt mich jetzt nicht ab, aber  ich sage, jeder hat die Freiheit, an Covid zu erkranken und zu sterben. Ich sehe das mittlerweile ganz pragmatisch. Was ich aber schlimm finde ist, wenn Ärzte den Menschen von der Impfung abraten. Jeder Arzt hat die Freiheit, ob er impft oder nicht, das ist in Ordnung. Aber wenn er nicht impft und auch persönlich gegen die Impfung ist, dann sollte er wenigstens still sein. Die Wissenschaft hat bewiesen, dass die Impfung vor schweren Verläufen schützt. Ich hatte schon Patienten auf der Intensivstation, die nicht dort gewesen wären, wären sie geimpft gewesen. Das ist auch ethisch bedenklich. 

»Für die Impfung von Kindern unter zwölf Jahren benötigen wir noch mehr Daten«
Derselbe, zur Impfung von Kindern

Gibt es signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Impfstoffen? 
Ich bin nicht der große Impfexperte. Mittlerweile gibt es aber nur noch Pfizer/Biontech. Wichtig ist aber: Die Impfung schützt. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Impfstoffen sind nur marginal.

Wir haben mittlerweile eine Impfquote von rund 62 Prozent. Trotzdem sind die aktuellen Zahlen der Infizierten im September und auch nun im Oktober wesentlich höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Woran liegt das? 
Das liegt daran, dass einfach mehr getestet wird. Im Vorjahr gab es noch nicht so viele Tests. Mittlerweile wird auch an den Schulen wesentlich mehr getestet. Aber es stört mich, dass immer nur von Infektionszahlen gesprochen wird. Das ist ja nur ein Teil der Wahrheit. Der nächste Teil ist, wie viele Menschen werden stationär behandelt und wie viele liegen auf der Intensivstation. Dass wir im Klinikum in der kalten Jahreszeit immer an die Grenzen der Belegung kommen, das war auch bei der Influenza so. Die Achillesferse jetzt ist der Pflegermangel, daher sind die Kapazitäten natürlich schneller voll. 

Auf den Intensivstationen haben wir in Kärnten immer noch ausreichend Kapazitäten, und ich denke, wir werden damit auskommen.

Trotzdem müssen aber Operationen verschoben werden, oder?
Das ist das, was mich so ärgert. Wenn ein Covid-Patient fünf oder sechs Tage auf der Intensivstation liegen würde, wäre es ja kein Problem. Er liegt aber im Schnitt 20 Tage. In dieser Zeit könnte ich vier andere Intensivpatienten behandeln.

Wie schätzen Sie die Situation im Lavanttal ein?
Die stationären Aufnahmen nehmen langsam zu. Auf der Intensivstation haben wir vier Patienten, das geht sich momentan aus. Im Lavanttal stehen uns acht Intensivbetten zur Verfügung.
Wir haben aber kärntenweit ausreichend Intensivkapazitäten. Da stehen uns zwischen 120 und 130 Intensivbetten für Erwachsene zur Verfügung.

Stehen wir am Beginn einer vierten Welle?
Gewisse Maßnahmen werden wir beibehalten müssen, wie zum Beispiel das Tragen von Masken bei Massenansammlungen, da werden wir nicht herumkommen. Man muss aber auch dazusagen, dass die Maske ja auch vor Influenza schützt.

Der Fokus muss darauf liegen, dass die Risikogruppen geimpft werden. Wir haben deutlich gesehen, dass ältere Menschen nicht mehr auf die Intensivstationen kommen. Aber die Menschen werden nun halt auch ihre Auffrischungsimpfungen machen müssen, da muss man auf sie zugehen.

Man könnte freilich jetzt schon sagen, die Pandemie ist beendet. Aber wenn wir dann an die Grenzen der Auslastung der Intensivstationen kommen, haben wir ein Problem. Es gibt ja auch andere Patienten, die auf der Intensivstation landen, wie Unfälle, Herzinfarkte usw. Das Einzige, was man dann machen kann, ist Operationen, die keinen dringenden Bedarf haben, zu verschieben.

Wann rechnen Sie damit, dass man sagen kann, die Pandemie ist beendet?
Es werden mehr Leute infiziert werden, dann gibt es noch mehr Genesene, und einige werden sich wohl noch impfen lassen. Und dann wird man die Pandemie wohl für beendet erklären können. Aber wir sollten jetzt schon so weit sein, dass die Pandemie zu keiner Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens führt. 

Ist 3G am Arbeitsplatz sinnvoll?
Maßnahmen sind immer so sinnvoll, wie sie kontrolliert werden. Wenn der Mitarbeiter 3G nicht einhält, wird der Arbeitgeber ihn wohl nur schweren Herzens heimschicken. Ein Hotelier, der nur einen Chefkoch hat, wird ihn kaum heimschicken, wenn er weiß, dass 100 Gäste kommen.

Ich glaube nicht, dass 3G am Arbeitsplatz die Impfquote enorm steigern wird. 

Wie stehen Sie zur Impfung von über Zwölfjährigen und Impfungen für Kinder ab sechs Jahren.
Ab zwölf Jahre würde ich eine Impfung empfehlen, aber weit weg von einer Pflicht. Für Kinder unter zwölf Jahren benötigen wir mehr Daten. Aber Kinder haben ein gutes Immunsystem. Was mich stört: Würden sich alle anderen mit Risikofaktoren impfen lassen, bräuchte man über eine Impfung von Kindern gar nicht diskutieren. Weil sich ein paar uneinsichtige Erwachsene nicht impfen lassen wollen, reden wir nun darüber, Kinder zu impfen. Jeder soll sich überlegen, welche Verantwortung er hat.

Sie haben ein Buch geschrieben. Es heißt »Es lebe der Tod«. Was waren die Beweggründe, dieses Buch zu schreiben?
Ich hatte die Idee dazu schon vor längerer Zeit. Es lebe der Tod um zu leben. Wenn ich nicht gelebt habe, kann ich auch nicht sterben. Ich wollte die Menschen animieren, bewusster zu leben, und ihnen die Angst vor dem Tod nehmen.

Die Hilfestellung zum Suizid ist künftig erlaubt. Wie stehen Sie zum assistierten Suizid?
Grundsätzlich erwarte ich mir, dass so wie nun in der Pandemie Schutznetze gegen den biologischen Virus aufgebaut wurden, die Gesellschaft und auch die Regierung alle Schutznetze vor diesem geistigen Virus aufbaut. Dass heißt, Ausbau der Palliativversorgung, Suizidprävention, eine wärmere Gesellschaft. Man muss sich überlegen, wie kann man die Gesellschaft ändern, um den Narzissmus hintanzuhalten. Der Mensch muss sich in der Gesellschaft aufgehoben fühlen. 

Wenn dann nach vielen Beratungsgesprächen und Hilfen der Mensch aber noch immer sterben möchte, dann sollte man ihm dieses Recht auch gewähren und ihm Beihilfe leisten. 

Aber man sollte vorher die Gesellschaft ändern. Es herrschen derzeit Einsamkeit und soziale Verarmung, das muss man ändern. Man darf den alten Menschen die Würde nicht nehmen und sie in Alten- bzw. Pflegeheime abschieben.

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