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»Genusstrinker« wegen Mordversuchs vor Gericht: »Dann ist halt das Messer in seinem Bauch gelandet«Ausgabe 29 | Mittwoch, 15. Juli 2020

Wolfsberger holte Paket mit Messer für seinen Nachbarn. Wenig später steckte die Waffe in seinem Bauch. Pensionist (45) stand wegen versuchten Mordes vor dem Landesgericht und spielte die Tat herunter. Das Opfer erschien nicht zum Prozess. Vertagt.

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Klagenfurt, Wolfsberg. Der 45-jährige Pensionist ist von kleiner Statur und kann sich keiner breiten Schultern brüsten. So harmlos, wie er sich darzustellen versucht, ist er allerdings keineswegs. Der Wolfsberger stand am Donnerstag, 9. Juli, wegen versuchten Mordes vor dem Landesgericht Klagenfurt. Die Verhandlung musste vertagt werden, weil das Opfer, das seinerzeit nur mit Glück überlebt hatte, für die Angelegenheit kein Interesse mehr  aufzubringen scheint: Der Mann  ignorierte die Zeugenladung von Richter Gerhard Pöllinger-Sorré, auch die ausgeschickte Polizei konnte ihn nicht finden.

Die Tat ereignete sich am 3. April 2019 gegen 9 Uhr in einem Gebäude in der Herbertstraße in Wolfsberg. Laut Staatsanwältin Doris Kugler rammte der Angeklagte mit 2,12 Promille im Blut seinem Gegner die acht Zentimeter lange Klinge eines Klappmessers in den Unterbauch. Das Opfer lief in sein Zimmer, holte eine Tasche und rannte auf die Straße, wohl um ein Spital aufzusuchen. Im Freien brach es blutüberströmt zusammen. Kugler beantragte, den Täter, für den die Unschuldsvermutung gilt, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen.

Nachdem Richter Pöllinger-Sorré einen Spatz »evakuiert« hatte, der uneingeladen in den Saal geflogen war, wurde der Angeklagte befragt. In breitem Lavanttaler Dialekt erklärte er sich erst für »nicht schuldig«, um danach die Ereignisse zu schildern. Er und sein Nachbar seien an jenem Tag gegen 8.30 Uhr morgens in seinem Zimmer gesessen und hätten Cola-Rot getrunken. »Ich hab mir gleich einen großen Krug, also einen halben Liter, gerichtet, meinem Nachbarn hab ich ein Glasl voll gegeben. Der trinkt nicht so viel wie ich.« Die vielen Promille erklärte er mit einem Wort: »Restalkohol.«

»Ich hab mir gleich einen großen Krug, also einen halben Liter, Cola-Rot gerichtet«
Der Angeklagte, über sein »Frühstück«

Irgendwann an diesem Morgen hatte der Nachbar, das spätere Opfer, ein per Post angekommenes Paket für den Angeklagten in Empfang genommen. Darin: ein bestelltes Messer, die Tatwaffe. Sie besitzt eine eingebaute Lampe, weshalb sie der Pensionist zum Laden ans Stromnetz anschloss und die Scharniere ölte. Als um 9 Uhr die Radionachrichten begannen, geriet die Situation außer Kontrolle. »Da war die Rede von einem Kleinkind, das von einem Traktor überrollt wurde. Das wollte ich hören«, so der Angeklagte, laut Eigendefinition ein »Messersammler«. Allein, sein Nachbar hätte munter weiter Geschichten aus seinem Arbeitsleben erzählt. »Er ließ mich nicht horchen. Darauf hab ich ihm gesagt, er soll mein Zimmer verlassen: Geh ausse, ich brauch dich nicht da.« Der Nachbar ging zur Türe, der Angeklagte ihm nach, um ihm »sein Glasl hinauszugeben«.

»Wie ein Käfer auf dem Rücken«
»Dann hat er mir das Glas aus der Hand getreten und mir den Oberarm zusammengedrückt, dass ich blaue Flecken gekriegt hab.« Das spätere Opfer hätte den 45-Jährigen auf den Gang geworfen, »ich bin da gelegen wie ein Käfer auf dem Rücken«. Er, in der Linken das »Glasl«, rechts das Messer, habe mit Händen und Füßen gestrampelt, während er den Gang entlang gezogen worden sei. »Dabei hat er irgendwie das Messer abbekommen, weil ich mich instinktiv gewehrt habe«, so der 45-Jährige. »Es ist halt in seinem Bauch gelandet.«

Anschließend sei er, ohne sich um den Verletzten zu kümmern, in sein Zimmer zurückgekehrt. Er säuberte seine blutigen Hände und das Messer und habe »einen Schock gekriegt, als ich am Gang die Blutlache gesehen hab«. Der Stich sei eine »Reflexbewegung« gewesen, »unabsichtlich«, »instinktive Notwehr«, da er fürchtete, vom Nachbarn die steile Gangtreppe hinuntergeworfen zu werden.

Zu seiner späteren Aussage, der Nachbar sei von alleine ins Messer gefallen, meinte der Pensionist vor Gericht: »Das war nicht richtig. Aber ich hab mir halt gedacht, wenn ich das sag, ist das Ganze schneller vorbei.«

»Klar tuts mir leid, aber der Nachbar hat eh Glück gehabt«
Derselbe, nach eindringlicher Nachfrage

Die vielen Widersprüche in seinen Aussagen – etwa das Verhältnis zu seinem Nachbarn, das er einmal als gut, dann wieder als schlecht schilderte – regten Pöllinger-Sorré auf: »Warum erzählen Sie immer andere Geschichten?« Die Antwort nach vielen Schweigesekunden: »Da fällt mir nichts ein dazu.«

Fakt ist: Der Angeklagte saß mehr als acht Jahre in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, nachdem er seinen Vater attackiert und verletzt hatte. 27 Mal wurde er in psychiatrische Anstalten eingewiesen, einmal, weil er in einem Lokal einen Gast mit einem Messer bedroht hatte. Der Alkohol bestimmt sein Leben.
Er selbst sieht das nicht so: »Eigentlich bin ich ein Genusstrinker, aber wenn ich meine Phase habe, brauche ich halt mehr«, sagte der 45-Jährige. Er besitze aber ohnehin keinen Führerschein ...

Der beisitzende Richter Manfred Herrnhofer stellte fest: »Ich habe noch kein Wort von Ihnen gehört, dass es Ihnen leid tut.« »Klar tuts mir leid«, lautete die Antwort, »aber er hat eh Glück gehabt.«

Das sah auch der medizinische Sachverständige so. Er sagte, das Messer sei bis zum Heft mit Wucht in den Bauch gestoßen worden. Rund zehn Zentimeter weit drang es in den Körper ein. Da der Stich aber parallel zur Oberhaut verlief, wurde »nur« eine kleinere Baucharterie verletzt. Wäre es zur Körpermitte geführt worden, hätte die entstehende Verletzung tödlich enden können.

Und: Der Hergangsschilderung des Angeklagten glaubte der Gutachter nicht, sondern meinte, der habe bewusst in den Bauch stechen wollen.

Sammelsurium an Erkrankungen
Zuletzt der psychiatrische Gutachter. Er attestierte dem Wolfsberger nicht nur Paranoia, Schizophrenie und Epilepsie, sondern auch Schäden aufgrund seines Alkoholismus’ sowie eines erlittenen Schädel-Hirn-Traumas. Bei der Tat sei er unzurechnungsfähig gewesen, weitere Gewaltakte seien »jederzeit wieder« möglich. Die Empfehlung: Einweisung.

Wenn das Opfer ausfindig gemacht wurde, kann weiter verhandelt werden.

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