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Apotheker Thomas Kunauer: »Der aktuelle Mangel an Arzneimitteln ist ein Multiorganversagen«Ausgabe 26 | Mittwoch, 28. Juni 2023

Apotheker Thomas Kunauer (57) spricht mit den Unterkärntner Nachrichten über den Arzneimittelmangel, wie lange es dauern würde, die Produktion zurück nach Europa zu holen, das Apothekensterben in Deutschland und die steigende Konkurrenz von Online-Apotheken.

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Seit der Corona-Pandemie steigt die Zahl der Medikamente, die nicht bzw. nur erschwert erhältlich sind. Welche Bereiche von Arzneimitteln sind betroffen?
Sämtliche Bereiche sind betroffen. Die Gründe sind vielfach, ich nenne es einmal ein Multiorganversagen. Es sind nun verschiedene Dinge zusammengefallen.

Welche sind das?
Zum einen Lieferverzögerungen bei Zulieferern der Pharmaindustrie. Das kann der Wirkstoff sein, aber auch die Verpackung. Dazu kommt auch noch die Pandemie, die dazu geführt hat, dass die Mengenvorhersagen für die Industrie sehr schwierig waren. Durch weniger Kontakte aufgrund der Maskenpflicht und anderer Maßnahmen sind bestimmte Krankheiten zurückgegangen und es wurden weniger Antibiotika benötigt. Daher wurde weniger produziert. Jetzt sind die Erkrankungszahlen wieder nach oben geschossen und daher kam es bei Antibiotika zu einem Engpass.

Ein weiterer Grund ist die Problematik, auf die die Apothekerkammer seit Jahren hinweist: unterschiedliche Preise in den verschiedenen Ländern. Österreich liegt bei Arzneimitteln im untersten Preisbereich. Daher haben  viele Firmen damit begonnen, Arzneimittel in Österreich zu kaufen und teuer im Ausland zu verkaufen.

Wie ist die Situation aktuell?
Es ist gefühlt besser, aber ist natürlich laufend ein Thema.

Macht Österreich bzw. die EU etwas dafür, um die Arzneimittelproduktion wieder nach Europa zu holen?
Eine Tablettenproduktion aufzubauen ist noch relativ einfach. Wenn ich aber sage, ich fange mit Impfstoffen an, dann dauert das in der EU Jahre. Da reden wir von fünf bis zehn Jahren. Da gibt es die unterschiedlichen Interessen der Staaten und sehr lange Diskussionen.

In China geht das schneller, da funktioniert so etwas binnen weniger Wochen.
Jein. Grundsätzlich sind die Bedingungen für die Pharmaproduktion ja weltweit gleich. Es gibt auf der ganzen Welt die selben Regeln. Wie viel Power ich da hineinstecke, ist eine andere Sache.

Wenn man sagt, man bringt die Impfstoffproduktion zurück nach Europa, dann habe ich langwierige bürokratische und politische Prozesse. Da tut man sich in China natürlich wesentlich leichter.

Wenn das Medikament, dass der Kunde verschrieben bekommen hat, nicht verfügbar ist, was kann er dann machen?
Ich sage einmal, in 90 Prozent der Fälle  gibt es eine Alternative. Es gibt viele Generika-Hersteller. Selbst wenn einer ausfällt, gibt es andere, auf die man zugreifen kann. Wenn allerdings eine Knappheit beim Wirkstoff herrscht, dann ist das ein Dominoeffekt, und alle Hersteller fallen der Reihe nach aus. Die Problematik für alle Apotheken seit der Pandemie sind, dass sich seither die Telefonanrufe bei den Ärzten verzigfacht haben und die Apotheken sich schwer tun, die Praxen zu erreichen.

Aufgrund der Engpässe haben die Apotheken begonnen, Arzneimittel selbst herzustellen. Welche Mittel darf ein Apotheker selbst machen?
Grundsätzlich darf ich, wenn ich die entsprechenden Herstellungsvorschriften – dafür gibt es österreichische und europäische Richtlinien – einhalten kann, alles herstellen. Beschränkungen gibt es eher bezüglich technischer Möglichkeiten. Es ist ja grundsätzlich unsere Ausbildung, die magistrale Herstellung. Das ist genau das, was man immer noch an der Universität lernt.

Haben Sie auch selbst Arzneimittel hergestellt?
Wir haben sofort, als wir merkten, dass gewisse Antibiotikasäfte nicht lieferbar sind, versucht, die Antibiotika in Tablettenform zu bekommen und daraus die Säfte für die Kinder selbst hergestellt.

Erst seit der Corona-Pandemie ist es möglich, per Telefon ein Rezept zu bekommen, das nun auf die E-Card gebucht wird. Warum hat das so lange gedauert?
Bereits im Jahr 1995 wurde darüber diskutiert. Es gab dann sehr lange Diskussionen im Vorfeld. Ein Punkt dabei war der Datenschutz. Dann ging es darum, die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Ich glaube, hätte man das vor zehn Jahren versucht, wäre man daran technisch gescheitert. 

Kürzlich gab es in Deutschland einen Protesttag wegen des »Apothekensterbens«. In Österreich steigen die Zahlen der Apotheken leicht. Woran liegt diese unterschiedliche Entwicklung?
Der Grund dafür ist, dass Deutschland vor 40 oder 50 Jahren ein anderes System als in Österreich eingeführt hat. Bei uns gibt es die Bedarfsprüfung. Dass heißt, der Bedarf einer Apotheke muss nachgewiesen werden. In Deutschland gibt es das nicht. Eine Apotheke kann überall aufmachen, wo sie will. Dadurch ist natürlich ihre Zahl rasant gestiegen. Ich glaube, der Höchststand an Apotheken in Deutschland lag bei 28.000.  Die Apotheken waren allerdings kleiner als in Österreich. Als die Handelsspannen immer geringer wurden, konnten Apotheken nicht mehr betrieben werden. Die derzeitige Situation ist im Prinzip eine Marktbereinigung.

In fast allen Branchen gibt es einen Mangel an Mitarbeitern in Österreich. Wie ist die Situation bei den Apotheken?
Im Bereich der Apotheken gibt es die universitären Jobs und die pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten, das ist ein Lehrberuf. Da muss ich vielen meiner Kollegen einen Vorwurf machen: Es werden viel zu wenige Lehrlinge ausgebildet. Das ist aber nicht neu, sondern bereits seit Jahrzehnten so. Das ist der eine Grund, warum wir im nicht-akademischen Bereich zu wenig Personal bekommen. Und dann gibt es auch nicht mehr so viele Bewerber für diese Lehre wie früher, weil immer mehr versucht wird, Jugendliche an die Universität zu bringen und nicht in die Lehre.

Wie sieht es mit der Konkurrenz durch Online-Apotheken aus?
Natürlich macht die Online-Apotheke Konkurrenz. Die Pandemie hat diese Apotheken natürlich unterstützt. Die bekannteste ist shopapotheke.at, die keine österreichische ist, sondern eine holländische. Das wissen die wenigsten. Es gibt Strategien, wie man sich wehren kann. Die haben wir gefunden, daher tangieren mich die Online-Apotheken nicht so.

Das österreichische Bedarfssystem bei Apotheken hat Vor- und Nachteile. Wir dürfen zum Beispiel nicht mit dem Preis werben. Wenn ich eine Online-Apotheke machen würde, dürfte ich zwar Produkte verschicken, aber nicht mit dem Preis werben.

Wir verfügen aktuell über ein Click-and-Collect-System. Der Online-Handel ist in Österreich eigentlich tot, es sind alles ausländische Händler, meistens aus der Schweiz, Holland oder Tschechien. 

Wie sieht die Zukunft für Apotheken aus?
Es gibt unterschiedliche Szenarien. Die Zukunft wird sicher vom Gesetzgeber abhängen. Es wird die Aufgabe der Apotheken sein, den Unterschied zwischen Online-Handel und persönlichem Kontakt herauszuarbeiten. Künstliche Intelligenz wird natürlich auch ein Faktor werden, wenn Diagnosen durch KI in Zukunft besser erfolgen als durch Menschen. Die Frage ist, was mache ich mit der Diagnose und wie setze ich sie um. Und da ist noch immer der Faktor Mensch wichtig.

Der Apotheker muss noch mehr auf den Kunden eingehen. Es geht nicht nur um den Intelligenzquotienten, sondern auch um den emotionalen Quotienten. Außerdem hat der Apothekenbesuch auch eine soziale Komponente. Weiters bekommt man in persönlichen Gesprächen viel mehr heraus, als es die KI kann. Persönliche Beratung und Betreuung wird für das Überleben in der Zukunft einer der Hauptfaktoren sein.

Thomas Kunauer wurde am
14. Mai 1966 in Graz geboren. Nach der Volksschule in Wolfsberg und der Mittelschule in St. Paul studierte er in Graz Pharmazie, 1992 folgte der Abschluss. Nach seiner Aspirantenzeit und dem Grundwehrdienst, begann er Ende 1993 in der Barbara Apotheke in Wolfsberg zu arbeiten, die 1978 von seinem Vater Werner und seiner Mutter Regine Kunauer gegründet worden war. Nach acht »Lehrjahren« im elterlichen Betrieb übernahm er ihn im Jänner 2001. Verheiratet ist er seit 1997 mit Rosana Schiaffino de Kunauer aus Argentinien. Gemeinsam haben sie die Kinder Tobias, Valentin und Lorenz.

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