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Pölling. Viele Menschen empfinden das Läuten der Kirchenglocken im Lavanttal als traditionell und beruhigend, während andere, insbesondere bei nächtlichem oder sehr häufigem Läuten, eine Ruhestörung sehen. So in Pölling. Dort hat sich seit der kürzlichen Sanierung des Uhrwerks Protest formiert, der in manchem Dorf ein seltenes Novum darstellt: Anwohner fordern die sofortige Abschaltung des Viertelschlags.
Nach jahrelangem Stillstand tickt die Turmuhr der Pöllinger Ortskirche wieder – und das von frühmorgens bis in die Abenddämmerung. Zwischen 6 und 22 Uhr ertönt nun alle 15 Minuten das metallene »Bimmbamm« – etwa 250 Schläge pro Tag. Am Sonntag gesellen sich die liturgischen Messen samt Ein- und Ausläuten hinzu und treiben manchen Nachbarn an den Rand der Verzweiflung.
»Viertelstundenschlagen gehört zur dörflichen Identität und ist ein Stück unserer Kultur«
Gerfried Sitar, Stadtpfarrer St. Andrä
Laut Lärmmessungen, die der Anrainer Josef Pircher durchgeführt hat, schafft die kleine Glocke, die die Viertelstunde anzeigt, um die 60 Dezibel, die große Glocke zur vollen Stunde über 70 Dezibel. »Früh um sechs Uhr beginnt das Glockenspiel und bis 22 Uhr bleibt es so«, schimpft Pircher, der gegenüber der Kirche wohnt und weiter meint: »Da wird man deppert im Kopf.« Laut ihm sei im Dorf nie darüber gesprochen worden, ob die Bewohner mit einer »Dauerbeschallung« einverstanden seien.
Daher hat er sich am Mittwoch der Vorwoche zu einem Schritt in die Offensive entschieden und ein Transparent vor seinem Haus aufgehängt, das die »Bimmlerei« als Lärmbelästigung anprangert: Pircher fordert darauf die »sofortige Abschaltung des Schlagwerks von der Turmuhr!« Dieser Schritt sei laut dem Anrainer, der mittlerweile von rund 15 Personen unterstützt wird, notwendig geworden, da er sich beim Pfarrgemeinderat beschwert habe, doch seit mittlerweile fast drei Wochen keine Rückmeldung gekommen sei.
Tradition oder Zumutung?
Dass Kirchenglocken in Österreich das Ortsbild prägen, weiß auch der St. Andräer Stadtpfarrer Gerfried Sitar. »Das Viertelstundenschlagen gehört zur dörflichen Identität und ist ein hörbares Zeichen unseres Glaubens und auch ein Stück unserer Kultur. Es gibt ja ohnehin fast nichts mehr in dem kleinen Dorf. Zwei von drei Wirtshäusern haben geschlossen, die Schule gibt es nicht mehr, die Kirche bringt Leben nach Pölling«, so Sitar.
Der Pfarrer hat das Transparent bislang noch nicht gesehen, allerdings von den Beschwerden bereits gehört. »Ich verstehe nicht, warum er nicht zuerst mit mir gesprochen hat. Ich sehe das Transparent als kontraproduktiv an. Aber ich will das Gespräch suchen und nicht streiten. Gemeinsam mit dem Pfarrgemeinderat sind wir derzeit auf der Suche nach einem Gesprächstermin mit den Bürgern«, sagte Sitar zu den Unterkärntner Nachrichten.
Pircher sieht den Fall ein wenig anders: »Das Läuten zur Viertelstunde hat es nie gegeben, erst jetzt seit der Sanierung. Gute Nachbarschaft mit der Kirche hin oder her – wir wollen schlicht keine Bimmlerei mehr.« Er habe stets toleriert, dass Kirchenbesucher ihre Autos auf seinem Grund abstellen, doch sollte das Glockenläuten nicht abgestellt werden, wolle er die Zufahrt künftig absperren.
Noch einen Schritt weitergehen möchte seine Tochter, die ebenfalls neben der Kirche wohnt. Sie überlegt mittlerweile, sich juristisch gegen das Glockenläuten zu wehren. »Ich möchte das nicht, das kostet nur unnötig Geld«, sagt Pircher, der hofft, dass noch eine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann.
Vom Dorfwecker zum Handy
»Früher sagte der Glockenschlag den Bauern auf den Feldern wie spät es ist, mittlerweile hat jeder ein Handy oder eine Uhr, da sind die Kirchenglocken nicht mehr notwendig«, meint Pircher.
»Um sechs Uhr beginnt das Glockenspiel und bis 22 Uhr bleibt es so. Da wird man deppert«
Josef Pircher, Anrainer
Sitar hingegen meint: »Die traditionelle Glocke bleibt jedoch ein Symbol, das den Alltag strukturiert und die Dorfgemeinschaft zusammenhält«
Rechtsprechung in Österreich
Pölling ist allerdings kein Einzelfall. Österreichische Gerichte haben mehrfach entschieden, dass Viertelstundenschläge ortsüblich und zu dulden sind. Im Fall des Linzer Mariendoms wies das Landesgericht eine Unterlassungsklage eines Anrainers ab. Doch Recht hin oder her: In Pölling regt sich Widerstand, und Pfarrer Sitar zeigt sich gesprächsbereit: »Wir sind offen für Vorschläge.«
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