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Martin Kušej: »Die digitale Welt ist faszinierend, aber so gesehen der größte Konkurrent des Theaters« Ausgabe 20 | Mittwoch, 18. Mai 2022

Der Unterkärntner Martin Kušej (61), künstlerischer Direktor des Wiener Burgtheaters, spricht mit den Unterkärntner Nachrichten über sein Buch »Hinter mir weiß«, Corona-Unterstützungen der Bundesregierung und dem Stand des Theaters in der virtuellen Welt.

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Sie haben gerade ein Buch geschrieben. Ist es für einen Burgtheater-Direktor einfach, die Zeit zu finden, um ein Buch zu schreiben?
Das Buch zu schreiben hat über ein Jahr gedauert, und ich habe in gewissen Phasen mehr oder weniger Zeit dafür gehabt. Gestresst war ich davon nicht. Es war eher Entspannung und Reflexion, die ich in dieser Zeit erlebt habe.

Warum haben Sie jetzt ein Buch geschrieben? 
Der Anstoß kam ursprünglich vom Verlag. Im Lauf der Zeit habe ich die Idee immer reizvoller gefunden, über meine Arbeit sowohl als Künstler als auch in meiner Funktion als Direktor des Burgtheaters nachzudenken und dies in Buchform festzuhalten.

»Auch Wikipedia verbreitet manchmal Unsinn und lügt. Mein Vater war Volksschullehrer«
Martin Kušej, künstlerischer Direktor Burgtheater

Worum geht es im Buch?
Das Buch soll keine Biografie sein. Es ist eine Mischung aus Arbeitsberichten, Definition meiner Lebenseinstellung und der Erzählung verschiedener Episoden aus meinem Leben. Ich würde sagen, es ist ein schönes und interessantes Buch über Theater. 

Gibt es auch eine Präsentation bzw. Lesung von Ihnen im Lavanttal? 
Für das Lavanttal wird es wohl nicht reichen, aber in Klagenfurt wird es sicher eine Lesung geben.

Sie wurden im Herbst 2019 zum Direktor des Wiener Burgtheaters bestellt. Nach wenigen Monaten traf uns die Corona-Pandemie und es begann die Zeit der Lockdowns. Wie war das für Sie? Wurden dadurch viele Ihrer Pläne zunichte gemacht?
Die mehr als zwei Jahre Pandemie haben für alle von uns einen massiven Einschnitt in unser gewohntes Leben bedeutet. Ich kann hier gar nicht aufzählen, wie vielfältig unsere gesamte Gesellschaft betroffen war, und die Langzeitfolgen sind noch gar nicht abschätzbar. Auch im Burgtheater mussten wir schwierige Situationen und Phasen meistern, für die niemand einen Masterplan hatte. Unter anderem gab es die längste Phase ohne Vorstellungen in der langen Geschichte dieses Hauses: 307 Tage! Trotzdem haben wir den Optimismus nicht verloren, mit großem Aufwand hinter den Kulissen weiter gearbeitet, um schließlich jetzt einen sehr großen Boom unseres Theaters wieder zu erleben.

Viele Kunstschaffende fühlten sich von der Politik während der Krise vernachlässigt. Gab es zu wenig Unterstützung und Wertschätzung seitens der österreichischen Politik? 
Ich würde sagen, die Unterstützung durch die Politik war ausreichend und vorbildlich. Aber die Frage nach der Relevanz von Kunst und Theater war sicher ein großes Thema. Über die Wertschätzung ließe sich angesichts unserer hervorragenden Sicherheitskonzepte und einer faktisch nicht vorhandenen An-
steckungsgefahr in unseren Häusern streiten, denn die Theater waren meiner Meinung nach viel zu lange von harten und unsinnigen Schließungen betroffen.

Als Burgtheater-Direktor steht man auch ständig in der Öffentlichkeit. Gefällt Ihnen das oder nervt Sie das eher? 
Ich mache den Job sicher nicht wegen der öffentlichen Rolle, ich arbeite viel lieber in Ruhe und im Hintergrund. Im Lauf der Zeit habe ich aber gelernt, mit meiner Funktion und Position umzugehen und sie konstruktiv auszulegen. 

»Ich würde sagen, die Unterstützung war ausreichend und vorbildlich«
Derselbe zur Frage der Unterstützung während Pandemie

Welche Pläne haben Sie mit dem Burgtheater? 
Das kann man täglich an unserem Spielplan ablesen. Ganz sicher soll es ein modernes, europäisches Theater sein und vorbildlich in seiner künstlerischen Qualität, aber auch in seinem Behandeln gesellschaftlicher Fragen und Probleme. Unser aktuelles Motto ist ja: »Du bist nicht allein!« Wir wollen also Menschen einladen, erreichen, mitnehmen, unterhalten, unterstützen und motivieren. Das betrifft auch unser Bestreben, von der Hauptstadt hinaus in die Bundesländer zu gehen und die Leute dort zu treffen. Diese Initiative beginnt – nach der Pandemie – gerade wieder von Neuem ...

Wie steht es generell um das Theater in der heutigen digitalen Welt? 
Die große und einzigartige Qualität der Kunstform Theater ist ja, dass sie live stattfindet. Dass da also wirkliche Menschen etwas kreieren, eine Geschichte erzählen – und das im Austausch mit anderen wirklichen Menschen. Es ist also dieses gemeinsame Erleben, dieser gemeinsame Austausch von Energie und Emotion, der nur in einem bestimmten unwiederholbaren Moment stattfinden kann. Die digitale, virtuelle Welt ist faszinierend, aber so gesehen auch unser größter Konkurrent. Und eigentlich ein Schein, der an die wahren Gefühle und menschlichen Sehnsüchte niemals heranreicht.

Ihnen wird nachgesagt, sie seien ein Theater-Berserker. Wie sind Sie zu diesem Ruf gekommen – und sind Sie überhaupt einer? 
Diesen Beurteilungen liegen viele Missverständnisse und Unkenntnis zugrunde. »Theater-Berserker« – wie blöd das schon klingt. Was soll das sein? Menschen haben Angst. Angst davor, dass ihre Welt anders sein könnte, als sie meinen, als sie sie wahrnehmen. Und aus dieser Angst heraus begegnen sie unerwarteten Wendungen mit Begriffen der Ablehnung. Natürlich ist die Welt immer anders, als wir meinen – das versucht Kunst seit jeher zu thematisieren –und ich auch. Sensibel und furchtlos sein, das ist meine Devise, aber doch nicht Berserker.

Ihr Werdegang ist ein unüblicher. Sie sind – laut Wikipedia – als Sohn eines Landwirts zum Burgtheater-Chef aufgestiegen. Ist das ein Weg, der auch einem anderen möglich wäre? 
Auch Wikipedia verbreitet manchmal Unsinn und lügt. Mein Vater war kein Landwirt, er war Volksschullehrer. Ich bekleide eine sehr singuläre berufliche Position, die zwar jeder erreichen könnte, aber dazu gehört – neben allem Können – auch immens viel Glück. Ich habe das jedenfalls nie als mein Ziel angestrebt. Jetzt bin ich aber stolz, so der Kunst dienen zu dürfen.

Sie wurden in Wolfsberg geboren, sind aber in Ruden aufgewachsen. Haben Sie persönliche Verbindungen ins Lavanttal, außer dem Geburtsort? 
Tatsächlich habe ich so gesehen nur einen einzigen Tag in meinem Leben wirklich in Wolfsberg »gelebt« – nämlich am Tag meiner Geburt im LKH. Ich habe aber noch ein paar Freunde im Lavanttal und bin vor allem eingefleischter Fan des Fußballvereins WAC!

Woher stammt Ihre Liebe zum Theater?
Ich kann das nicht genau definieren. Es ist eine Mischung aus frühem Interesse an Geschichten, an Büchern und Menschen. Auch den Einfluss der kirchlichen Feste und Rituale mit ihren hochemotionalen Eindrücken, den Bildern und den Mythen der Bibel könnte man da anführen. Außerdem hat mich Kunst immer stark angezogen – und im Theater habe ich die ideale Umsetzung für meine kreativen Fähigkeiten gefunden.

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