Seit 1887 | Das unabhängige Wochenblatt für Unterkärnten

Der »Streckerwirt« in St. Marein wird versteigert: Über Tradition, Schicksal und das AuktionsdramaAusgabe 22 | Mittwoch, 28. Mai 2025

Seit 1921 ist der »Streckerwirt« in St. Marein ein Symbol regionaler Tradition. Einst Schulort und Treffpunkt in St. Marein, wird das Anwesen am 11. Juni versteigert. Finanzielle Engpässe und Schicksalsschläge zwingen das Gasthaus nach 104 Jahren in den Abschied.

E-Mail

0 Kommentare

Meist gelesen

Artikel

St. Marein. Das Ehepaar Hilde (64) und Johann »Hansi« Reichel (71) hat den »Streckerwirt« über Jahrzehnte hinweg zu einer Institution in St. Marein gemacht. Einst diente der riesige Tanzsaal nicht nur als Festsaal und Ort der Begegnung, sondern auch als Unterrichtsraum: In den 1950ern-Jahren wurden darin Schüler unterrichtet, als die alte Schule nicht mehr allen St. Mareiner Kindern Platz bot.

Das Haus war aber immer mehr als nur ein Restaurant: Es ist Zeugnis regionaler Geschichte und Tradition. Die historische Verbindung zur Postkutsche, die einst regelmäßig durch das Dorf fuhr und das Anwesen auf der sogenannten »Strecke« passierte, belegt, dass der Gasthausstandort seit jeher im Mittelpunkt des Dorflebens stand.

Doch was nutzt die Vergangenheit bei der Bewältigung der Herausforderungen der Gegenwart? »In den vergangenen zehn Jahre ging es bergab«, berichtet Hilde Reichel, die den Streckerwirt mit ihrem Mann Johann seit 1983 führt. Corona-bedingte Rückgänge und gesundheitliche Schicksalsschläge machten die vergangenen Jahre zu einem steinigen Weg: Hansi erlitt vor neun Jahren eine Hirnblutung, Hilde kämpfte vor eineinhalb Jahren mit einem Herzinfarkt. Außerdem fügten behördliche Auflagen, etwa notwendige Umbauarbeiten an Küche und WC-Anlagen, der ohnehin schon angeschlagenen Finanzlage weitere Schläge zu.

»Die Bank hat nicht mehr mitgemacht«, sagt Hilde, und man stehe vor der Situation, dass Betriebskosten und Investitionen – wie die Überarbeitung der überdachten Sitzterrasse im Jahr 2006 – einfach nicht mehr zu stemmen seien. Außerdem gibt es keine Nachfolger, die das Gasthaus übernehmen würden. Die eigenen Kinder Hannes und Sophie haben andere Wege eingeschlagen.

Liegenschaft wird versteigert
Das etwa 4.000 Quadratmeter umfassende Anwesen – bestehend aus Gasthaus, Stall und weiteren Nebengebäuden – wird nun versteigert. Ursprünglich sollte die Versteigerung am 7. Mai stattfinden und das Mindestgebot bei 265.000 Euro liegen, was 50 Prozent des von einem Gutachter ermittelten Schätzwerts entsprach. Kurz nach Bekanntgabe kam ein Antrag der Raiffeisenbank Mittleres Lavanttal – unterstützt von der Familie Reichel – dazu, das Mindestgebot auf 370.000 Euro anzuheben. Dem Antrag wurde stattgegeben, die Versteigerung geht nun am 11. Juni über die Bühne.

Wehmütiger Rückblick
Die Familie Reichel blickt mit Wehmut zurück. Angefangen bei der Gründung des Gasthauses im Jahr 1921 durch den Urgroßvater über den erfolgreichen Betrieb in zweiter Generation, den Übergang zur dritten Generation und zuletzt die Übernahme durch Hansi. Eine Urkunde, die in der Gaststube hängt, erzählt von »guter Abkunft«. Für viele Dorfbewohner und Stammgäste war der »Streckerwirt« nicht nur ein Ort, wo eine deftige Jause, frisches Backhendl oder ein erfrischender Most gereicht wurden – er war und ist fester Bestandteil des kulturellen Erbes von St. Marein.

»Es macht mich schon sehr traurig, aus St. Marein wegzugehen. Hier kenne ich alle Leute«
Hilde Reichel, Streckerwirtin

Auch in der jüngeren Vergangenheit sorgte das Gasthaus für mediale Aufmerksamkeit. So erlangte »Streckerwirt-Hansi« durch humorvolle Youtube-Videos Kultstatus, in denen er etwa das kunstvolle Pressen von Most demonstrierte oder seinen legendären »Sterbetee« – eine Mixtur aus Schnaps, Rum und Co., die vor dem Servieren flambiert wird – präsentierte. Die Mischung aus Tradition, Humor und einem unverwechselbaren Charisma machte Hansi in den Augen vieler Lavanttaler zu einem wahren »Alpencasanova«. Dennoch werden die Details des Geheimrezepts des »Sterbetees« auch im Versteigerungsprozess unter Verschluss bleiben – vielleicht verrät es Hansi einmal einer Person, die sich diesem besonderen Getränk als würdig erweist.

Wie es weitergeht, ist unklar. Hansi würde gerne ein Haus im Raum Wolfsberg mieten und mit der ganzen Familie einziehen, während Hilde nur eine Wohnung mit ihrem Hansi teilen möchte. »Es macht mich schon sehr traurig, aus St. Marein wegzugehen. Hier kenne ich alle Leute, alle sind so nett«, sagt Hilde. Hansi Reichel, der sein ganzes Leben dem Gasthaus verschrieben hat, weiß natürlich noch nicht, was der neue Eigentümer mit dem Anwesen machen wird. Bis die Überschreibung der Liegenschaft auf den neuen Besitzer erfolgt ist, hat der »Streckerwirt« jedenfalls weiterhin geöffnet.

Abschiedsparty
Am 3. Juni wird ab 16 Uhr zur letzten großen Party unter dem Motto »Streckerwirt – 70 Jahre Rückblick« geladen.

0 Kommentare Kommentieren

Keine Kommentare gefunden!

Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Kommentarbereich prüfen wir alle Beiträge, bevor sie veröffentlicht werden. Ihr Kommentar erscheint, sobald er gesichtet wurde.

Bitte melden Sie sich an, um die Beiträge zu lesen oder zu kommentieren.AnmeldenHier Registrieren