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Sie sind am Sonntag, 26. September, beim europäischen Bürgerdialog in Bad St. Leonhard dabei (siehe hier). Welche Funktion haben Sie in der EU inne?
Ich bin der Kabinettschef des Generalsekretärs im Ausschuss der Regionen der Europäischen Union. Ich bin seine rechte Hand und helfe dem Generalsekretär, das Haus zu leiten. Der Ausschuss der europäischen Regionen vertritt die Regionen und Kommunen in der EU.
Wie sind Sie zu dieser Position gekommen?
Für die Position des Kabinettschef wird in der Verwaltung geschaut, wer für diese Aufgabe fähig wäre, dann sucht sich der Generalsekretär einen Kandidaten aus. Es ist seine persönliche Entscheidung. Ich diene mittlerweile dem vierten Generalsekretär, was für mich ein schöner Beweis dafür ist, dass meine Arbeit gewürdigt wird. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass man von einem Generalsekretär einfach übernommen wird.
Wie sind Sie überhaupt zur EU gekommen?
Nach meinen Studien hat es mich in die Diplomatie gezogen. Ich habe mich damals, also von 1988 bis 1992, schon sehr für die Europäische Union interessiert. Es ist für mich eines der interessantesten politischen Projekte auf diesem Planeten. Ich wollte unbedingt für unser Land und unsere Menschen bei diesem Projekt mitmachen. Mittlerweile bin ich seit fast 30 Jahren bei der EU in Brüssel angestellt.
Ist es nicht sehr schwer, einen Job bei einem EU-Organ zu bekommen?
Jeder kann in Brüssel Karriere machen. Die öffentlichen Auswahlverfahren sind auf der EPSO Webseite abrufbar. Man bewirbt sich, dann folgen schriftliche und mündliche Tests. Es ist alles objektiviert und ohne politischen Druck. Ich habe meine Karriere aus eigener Kraft gemacht. Ich kann nur jedem jungen Menschen, der sich für Politik und Recht interessiert, empfehlen sich bei der EU zu bewerben. Es ist ein interessanter Job, es gibt jeden Tag etwas Neues und immer wieder spannende Aufgaben zu lösen.
In der Bevölkerung hört man öfter, dass die EU gescheitert sei, weil man keine gemeinsamen Lösungen findet, zu schnell expandiert habe usw. Ist die EU gescheitert?
Ich überlasse es jedem Bürger, das selbst zu beurteilen. Wenn jemand meint, die EU sei gescheitert, höre ich es mir gerne an. Ich würde ihn aber bitten, nachzudenken und zu sagen, wie wir die großen Anliegen und Herausforderungen wie die Klimaproblematik, den Wettstreit mit Russland und China oder den Kampf gegen die Pandemie.
Und Ihre persönliche Meinung?
In sehr vielen Bereichen leistet die EU sehr viel. Durch die EU haben unsere österreichischen Unternehmen einen riesigen Absatzmarkt. Ohne EU würden Unternehmen im Lavanttal wie Geislinger oder StoraEnso nicht so viel produzieren und absetzen können, wie sie es nun tun. Die EU ist auch ein Friedensprojekt. Seit über 70 Jahren hat es unter den Staaten, die EU-Mitglied sind, keinen Krieg mehr gegeben. Auch den Konsumentenschutz bei internationalen Käufen verdanken wir der EU. Wenn wir im Internet etwas kaufen, das aus Deutschland kommt, ist der Konsument dabei genauso geschützt, als hätte er das Produkt im Inland gekauft.
Trotzdem sind nicht immer alle »amused« mit der EU, siehe Großbritannien. Sind die Folgen des Brexit bereits spürbar?
Das auf alle Fälle, aber vor allem die Briten merken es. Manche Supermarktregale sind dort jetzt öfter leer, weil die Ware einfach nicht geliefert werden kann. Wir haben immer gesagt, so sehr wir den Austritt Großbritanniens bedauern, sie werden die Folgen mehr spüren als wir.
Aber wir spüren es schon auch?
Ja natürlich. Großbritannien war ein großer Markt. Es wird nun natürlich versucht, das mit Abkommen so weit wie möglich abzufedern. Aber es kann natürlich für einen Staat, der nicht bei der EU ist, nicht die gleichen Vorteile geben wie für die Mitglieder.
Meine persönliche Vermutung ist, dass sich die Briten in 15 bis 20 Jahren besinnen und wieder zurückkommen werden.
Bei vielen entstand zu Beginn der Corona-Pandemie der Eindruck, die EU habe die Krise verschlafen. War das so?
Das war sicher nicht so. Von Anfang an ging es darum, dass man so schnell wie möglich zu einem Impfstoff kommt. Da hat die EU sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Entwicklung in die Wege zu leiten. Es wurden Milliarden investiert, um in Rekordzeit einen Impfstoff herzustellen. Dann ging es darum, schnell sicher zustellen, dass wir Europäer bei der Impfstoffbeschaffung nicht ins Hintertreffen geraten und dass es zu keiner Konkurrenz unter den Mitgliedsstaaten kommt und die großen EU-Staaten nicht alles zusammenkaufen.
Also gibt es an der Corona-Politik keine Kritik?
Was ich kritisiere ist, dass wann immer etwas schief geht, die erste Reaktion der Mitgliedstaaten lautet: Grenzen dicht. Das ist vielleicht eine schnelle Maßnahme, aber sie löst das Problem nicht dauerhaft, sondern schafft oft neue Probleme Natürlich hatte es die EU schwer, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, weil alle zu Beginn der Pandemie unter Schock standen. Das haben die Menschen natürlich auch zu spüren bekommen. Aber wir versuchen die Lehren daraus zu ziehen: Die Staaten dürfen sich in einer Krise nicht zurückziehen, sondern müssen noch mehr Gespräche führen.
Grenzen dicht machen ist eine gute Überleitung zur nächsten Frage. Warum schafft man es nicht, sich auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu einigen?
Die Flüchtlingskrise hat ja nicht erst 2015, sondern schon viel früher begonnen. Spanien, Griechenland und Italien haben über Jahrzehnte Flüchtlinge aufgenommen. Als die Probleme in Syrien begannen, explodierten die Zahlen und gingen in die Millionen. Die Menschen waren nicht mehr aufzuhalten. Die Lösung kann nicht darin bestehen, dass man nur auf seine Grenzen schaut, man muss sich überlegen, was kann man in den Ursprungsländern der Flüchtlinge machen kann. Wenn das gemeinsam gelöst werden soll – alleine kann das Österreich nicht – dann muss die EU die nötigen Kompetenzen und Mittel bekommen. Man kann nicht immer mehr Aufgaben der EU zuweisen, aber gleichzeitig ihre Mittel kürzen und sagen, die EU mischt sich zu viel ein.
Aber es sind Jahre verstrichen und es gibt keine Ergebnisse.
Ja es müsste schneller gehen. Die Europäische Kommission hat zur Migrationspolitik umfassende Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Es liegt an den EU Mitgliedstaaten, sich zu einigen.
Am Sonntag findet am Schlossberg in Bad St. Leonhard der Bürgerdialog statt. Was erwarten Sie sich davon?
Es sind 120 Fragen von Bürgern eingelangt, die wir aufgearbeitet haben und die am Sonntag in den Bürgerdialog einfließen werden.
Ein großer Themenbereich ist die Arbeit der EU, ob es zu viele Politiker gibt, ob das Einstimmigkeitsprinzip sinnvoll ist usw. Ein weiterer Themenblock betrifft Klima und Umwelt, und beim dritten großen Block geht es um die Landwirtschaft.
Wird es den Bürgerdialog öfters geben?
In Bad St. Leonhard soll der Bürgerdialog in Zukunft jährlich stattfinden. Es ist aber jede Gemeinde aufgerufen, so etwas zu machen. Die Beschäftigung mit dem Thema Europa ist sehr wichtig.
Othmar Karas ist Vizepräsident des Europäischen Parlaments Wie haben Sie es geschafft, ihn nach Bad St. Leonhard zu holen?
Othmar Karas ist ein sehr hart arbeitender Abgeordneter, er fährt kreuz und quer durch ganz Österreich, um für die EU und die Menschen zu arbeiten. Ich kenne ihn schon sehr lange und er war gleich gerne bereit zu kommen.
Sie leben in Brüssel. Werden Sie ins Lavanttal zurückkehren?
Natürlich. So Gott mir das Leben schenkt, werde ich nicht in Brüssel in Pension gehen. Meine Heimat ist eindeutig das Lavanttal. Am meisten gehen mir in Brüssel die Berge ab, denn ich bin ein passionierter Wanderer.
// Zur Person
Christian Gsodam wurde 1969 in Wolfsberg geboren und ist in Bad St. Leonhard aufgewachsen, wo er die Schule besuchte. Gsodam war bei den Wiener Sängerknaben und besuchte Schulen in Wien und Salzburg. Er studierte internationales Recht und Politikwissenschaften in Innsbruck, Brüssel und Rom. Nach dem Studium bewarb er sich bei der EU und war von 1992 bis zum EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 Assistent einiger deutscher EU-Abgeordneter. Seit 2011 ist er Kabinettschef des Generalsekretärs im Europäischen Ausschuss der Regionen.
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