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Klagenfurt, Wolfsberg. Die Angehörigen des Todesopfers saßen in Trauerkleidung im Hintergrund und verfolgten still die Ausführungen des Angeklagten. Während ein Videofilm abgespielt wurde, dessen Bilder den Zuhörern verborgen blieben, der sie aber hören ließ, was sich am Unglückstag im Cockpit des Segelflugzeugs zugetragen hatte, brach eine Angehörige in Tränen aus. Am Landesgericht Klagenfurt wurde am Freitag, 19. Juni, über eine Tragödie verhandelt, die sich im vergangenen Jahr in Wolfsberg ereignet hatte.
Die nackten Fakten
Am 1. September 2019, einem Sonntag, waren ein Wolfsberger Pilot (56) und eine damals 62-jährige Passagierin, ebenfalls aus der Bezirkshauptstadt, im Rahmen der Flugsporttage mit einem Segelflugzeug des Typs MDM1 Fox zu einem Kunstflug aufgestiegen. Noch während der ersten geflogenen Figur geriet die Maschine außer Kontrolle und fiel gegen 18.15 Uhr wie ein Stein vom Himmel. Der Pilot konnte sich mit dem Fallschirm retten, die 62-Jährige verlor ihr Leben. Jetzt musste sich der Wolfsberger wegen grob fahrlässiger Tötung vor Richterin Michaela Sanin verantworten. Der Strafrahmen: bis drei Jahre Haft.
»Dann ist es mir geschossen: Da funktioniert etwas am Flugzeug nicht«
Der Pilot über die Sekunden vor dem Crash
Staatsanwältin Johanna Schunn wirft dem Mann vor, er sei übermüdet gewesen und habe trotz nahender Schlechtwetterfront das Flugzeug zum Trudeln gebracht. Als es nicht mehr beherrschbar war, sei er »ohne ausreichende Bemühungen, es wieder in Normallage zu bringen und der Passagierin hinreichende Anweisungen zu erteilen«, abgesprungen und habe damit einen »verfrühten Notausstieg vorgenommen«. Der Angeklagte bestreitet das und bekannte sich nicht schuldig. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Sachlich und in stets unverändert ruhiger Tonlage schilderte der 56-Jährige seinen Ausbildungsweg zum Piloten und Kunstfluglehrer. An jenem verhängnisvollen Sonntag hatte er bereits sechs Flüge absolviert, ehe er mit der 62-Jährigen aufgestiegen war. Exakt beschrieb er jeden Schritt vor dem Start: Wie er die Wolfsbergerin in die Bedienung des Fallschirms eingewiesen, wie er ihr die Funktionsweise der Gurte und den Abwurfmechanismus der Haube erklärt hatte. Nachdem die Fox von einem Motorflugzeug in etwa 1.200 Meter Höhe geschleppt worden war, begann er die erste Kunstflugfigur, die er zuvor bereits 80 Mal durchgeführt hatte: Trudeln und abfangen. Dieses Mal war aber alles anders.
Die Fox ließ sich nicht mehr stabilisieren, drehte sich immer weiter, ließ sich nicht steuern. Der Pilot versuchte mehrfach, sie wieder in seine Gewalt zu bekommen. »Dann ist es mir geschossen: Da funktioniert etwas nicht«, so der Mann zur Richterin. Er vermutete einen technischen Defekt und gab das zweifach wiederholte Kommando: »Aussteigen!« Nachdem er seine Haube abgeworfen hatte, hörte er hinter sich die Passagierin – wie das Todesopfer während der gesamten Verhandlung genannt wird, ihr Name fällt nur ein Mal – sagen: »Klemmt!« Er griff hinter sich, entfernte die zweite Haube und will wieder gerufen haben: »Aussteigen!« Danach sprang er ab und öffnete den Fallschirm.
Der Absturz
»Sofort hat mich das Flugzeug überholt und ist unter mir durch«, so der Angeklagte. »Ich habe gelernt, dass man bei einem technischen Defekt sofort raus muss. Wenn es sich im Spiralflug befindet, hat man dafür nicht viel Zeit. Ich dachte, in dieser Höhe (Anm.: zu diesem Zeitpunkt 900 bis 1.000 Meter) kommen wir beide hinaus.« Aktiv beim Absprung helfen habe er der Frau nicht können: Der Pilot, der vorne sitzt, sei dazu nicht in der Lage. Das bestätigte später auch der Gutachter.
»Es gab keinen Defekt am Flugzeug. Wir wissen nicht, warum das Trudeln nicht zu stoppen war«
Johann Zötsch, Sachverständiger
Anwalt Leo Grötschnig, der die Familie des Opfers vertritt, verlangte zu wissen, ob der Angeklagte der Passagierin vor seinem Absprung Anweisungen gegeben habe. Der 56-Jährige bejahte. Warum seine Instruktionen auf dem Video nicht zu hören seien, erklärte der Wolfsberger mit den Windgeräuschen und der offenen Haube.
Auf die Frage Grötschnigs, ob es sich nicht gehöre, dass der Pilot als Letzter aussteigt, reagierte der Anwalt des Angeklagten, Peter Fejan, empört. Der Angeklagte, der in Jacke und Turnschuhen vor der Richterin saß, sagte nur: »Nein.«
Danach war Johann Zötsch, Sachverständiger für Segelflug, am Wort. Laut ihm war der Flug angesichts der nahenden Gewitterfront »grenzwertig«, er hätte ihn nicht erlaubt. Das drohende Schlechtwetter habe den Piloten in Zeitnot gebracht, weshalb die Einschulung der Passagierin wohl zu kurz gewesen sei. Zwischen der Landung des vorherigen Flugs und dem Start zum Unglücksflug seien nur 28 Minuten vergangen. »Eine längeren Einschulung hätte eventuell die Chancen erhöht, dass auch die Passagierin rechtzeitig rausgekommen wäre«, so Zötsch. Der Pilot beharrte darauf: Er habe die Frau 15 Minuten lang eingeschult. Das wollte der Gutachter nicht glauben und warf ihm auch vor, er sei aufgrund der vorangegangenen Flüge übermüdet gewesen.
An der Fox, die nach dem Crash tagelang untersucht worden war, wurde kein technischer Fehler entdeckt: »Wir wissen nicht, warum das Trudeln nicht beendet werden konnte«, so Zötsch. Für die Wolfsbergerin sei ein Ausstieg wegen der engen Kabine »fast nicht möglich gewesen«. Sie habe es zwar letztlich geschafft, aber erst in etwa 70 Meter Höhe. Der Fallschirm konnte sich nicht mehr öffnen, sie starb beim Aufprall.
Im Kreuzfeuer
Doch Zötsch geriet selbst ins Kreuzfeuer. Einerseits meinte er, der Angeklagte habe keine andere Möglichkeit gehabt als abzuspringen und letztlich korrekt gehandelt. Andererseits ortete er in dessen sonstigem Verhalten Verletzungen der Sorgfaltspflicht. Immer wieder musste der Experte eigene Widersprüche aufklären. Einer seiner Schlüsse: Wäre der Pilot wegen des Wetters nicht gestartet, wäre kein Unfall geschehen ... Nach dreieinhalb Stunden vertagte die Richterin. In der nächsten Runde sollen Zeugen gehört werden. Pilot und Angehörige würdigten sich während der Verhandlung keines Blickes ...
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