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Wolfsberg. Momentan hat das Kinderschutzzentrum Delfi in Wolfsberg trotz erweiterter Telefonbereitschaft weniger Anfragen, als gewöhnlich. Standortleiterin Adele Lassenberger rechnet erst zeitverzögert zur Coronakrise mit vermehrten kinderschutzrelevanten Anfragen. Den Grund dafür erklärt die klinische Psychologin so: »Menschen in einem Ausnahmezustand richten sich zunächst ein und ›funktionieren‹. Das ist ähnlich wie in Gefahrensituationen oder bei traumatischen Ereignissen.« Erst bei längerer Andauer der Situation oder wenn sie vorbei ist, würde Redebedarf bestehen.
Konflikte im Alltag
Die Anfragen, die seit dem Beginn der Coronakrise das Delfi erreichen, drehen sich meist um Konflikte im Zusammenhang mit den erweiterten Betreuungsaufgaben und schulischen Aufgaben der Familien, dem Kontaktrecht und der Angst vor Krankheiten. Letztgenannter Punkt betrifft zum Beispiel Kinder, deren Eltern im Krankenhaus oder im Supermarkt arbeiten und die Sorgen haben, dass sich Mama oder Papa dabei anstecken könnten. »Die Beratungen erfolgen, wenn es ausreicht, telefonisch. Den Kindern, die schon vor der Krise bei uns betreut wurden, haben wir auch Kontakte über Skype, Zoom und Videotelefonie angeboten«, ergänzt Lassenberger. Dieses Angebot wird von rund einem Drittel der Klienten genützt. Ab dieser Woche soll es außerdem wieder die Möglichkeit von persönlichen Einzelkontakten geben: »Wir klären individuell ab, ob dies unter Einhaltung der Auflagen möglich bzw. notwendig ist.«
Die Coronakrise und die daraus resultierenden Maßnahmen erleben Kinder sehr unterschiedlich. Manche sehen die Situation laut Lassenberger sogar entlastend – jedoch nur auf den ersten Blick. »Wie Kinder die Situation erleben, hängt ganz stark davon ab, wie es den Erwachsenen geht und wie ihre Bezugspersonen von der Krise betroffen sind und mit ihr umgehen«, so die Expertin, »wenn die Mama unter verschärften Bedingungen im Supermarkt arbeitet oder Eltern von Arbeitslosigkeit und Existenzängsten betroffen sind, wirkt sich das auch auf die Kinder aus. Eltern sind bei der Krisenbewältigung Modell für ihre Kinder.«
Humor ist wichtig
Um das Daheimsein und -lernen möglichst konfliktfrei zu bewältigen, rät Lassenberger zu einer Tagesstruktur. Kinder können etwa im Haushalt angemessene Aufgaben übernehmen: »Wer was übernehmen kann und will, sollte gemeinsam im Familienrat besprochen werden.« In diesem Rahmen kann auch über Corona gesprochen werden, mit Schwerpunkt darauf, was die Kinder interessiert, nicht, was die Erwachsenen besprechen wollen. Ganz wichtig ist dabei der Humor: »Corona-Witze sind erlaubt, sorgen für Spannungsabbau und können so das Gespräch im Familienrat beenden.«
»Wie Kinder die Situation erleben, hängt stark davon ab, wie es den Erwachsenen geht«
Adele Lassenberger
Kinderschutzzentrum Delfi
Unbedingt in den Tag eingebaut werden sollte Bewegung im Freien, wie etwa Trampolin springen. Auch neue Hobbys können erlernt werden. Beim Medienkonsum rät Lassenberger dazu, unnötige Konflikte zu vermeiden: »Jetzt darf es ein bisschen mehr sein, aber es sollten nicht nur ›Ballerspiele‹ sein.« Gerade jetzt ist es aber auch für Eltern wichtig, auf ihre eigene Psychohygiene zu achten. »Das ist natürlich leichter gesagt, als getan«, räumt die Psychologin ein. Kurze Auszeiten sollten jedoch möglich sein: »Kindern ab dem Schulalter kann man sagen, dass ich jetzt eine halbe oder ganze Stunde für mich allein brauche. Wenn Kinder dann erleben, dass Mama oder Papa in dieser Zeit etwas für sich machen, sei es Yoga, lesen oder alleine Spazieren gehen, ist für sie das auch leichter zu akzeptieren, als wenn sie nur hören ›Gib jetzt Ruhe‹ oder ›Sei nicht so lästig‹.« Wichtig in der Tagesstruktur sind jetzt auch gemeinsame Mahlzeiten.
Gewalt wird nicht toleriert
Null Toleranz für Gewalt gilt auch in Zeiten der Coronakrise. Sollte es zu Gewalt in der Familie kommen, sind grundsätzlich alle Kriseneinrichtungen geöffnet. Die Gewaltpräventive und -kurative Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe und aller vor- und nachgelagerten Einrichtungen ist jedoch momentan aufgrund der Kontaktvermeidung eingeschränkt: »Diese Arbeit, die 80 Prozent der Tätigkeit ausmacht, passiert hauptsächlich über Kontakte und Beziehungsarbeit.«
Wo Gefahr in Verzug herrscht, wird momentan vermehrt auf polizeiliche Unterstützung zurückgegriffen: »Das ist aus Sicht des Kinderschutzes nicht unbedingt zu befürworten, aber in Zeiten wie diesen notwendig. Aus Kinderschutzsicht wünschen wir uns auch in Fällen akuter Gewalt als Methode das Gespräch und den Dialog mit den Betroffenen, denn sie müssen die Maßnahmen zur Veränderung mittragen.« Nachsatz: »Die Entscheidung, was in Gefährdungsfällen passiert, bleibt aber nach wie vor bei den Jugendämtern und Gerichten.«
Allgemein kritisiert wird oft, dass das Thema Kinderbetreuung von der Bundesregierung links liegen gelassen wird.
»Kindern ab dem Schulalter kann man sagen, dass man jetzt eine halbe Stunde Zeit für sich braucht«
Adele Lassenberger
rät Eltern zu Psychohygiene
Geschäfte öffnen wieder, Eltern müssen zur Arbeit, aber Schulen bleiben vorerst weiterhin geschlossen. Lassenberger sieht die Schulschließungen für Kinder aus gut sorgenden Familien nicht so schlimm, sehr wohl aber für Kinder aus bildungsfernen Schichten oder sozial belasteten Familien: »Diese sollten bald wieder in die Schule und in die Betreuungseinrichtungen gehen, die ja auch geöffnet haben. Die Betreuung dort gilt nicht nur für Kinder von Eltern in Risikoberufen. Der zuständige Wiener Stadtrat Jürgen Cernohovsky hat das ganz klar und offen für Wien formuliert. Das würde ich mir bei uns auch wünschen, dass das so klar kommuniziert wird.«
Kinderschutzzentrum Delfi Wolfsberg:
Kontakt: 04352/30 437 oder 0650/63 66 271
Erreichbarkeit: Montag bis Freitag von 9 bis 14 Uhr.
Mail: beratung.wolfsberg@ktn.kinderfreunde.org
Adresse: Roßmarkt 3, 9400 Wolfsberg
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