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»Ich kann als Präsident des Roten Kreuzes nur an die Menschen appellieren, zu helfen statt zu schauen« Ausgabe 29 | Mittwoch, 20. Juli 2022

Martin Pirz, 46, wurde zum neuen Präsidenten des Roten Kreuzes Kärnten gewählt. Im Interview mit den Unterkärntner Nachrichten spricht der Eberndorfer über seine Pläne, Probleme wegen der hohen Spritpreise, Gaffer bei Unfällen und Gewalt gegen Mitarbeiter.

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Wie fühlen Sie sich nach der Wahl: Geehrt oder ein wenig nervös aufgrund der gewaltigen Verantwortung?
Ich habe viel Respekt vor dem Amt, das ich jetzt übernommen habe.

Warum wollten Sie Präsident des Kärntner Roten Kreuzes werden?
Für mich ist es eine Ehre, ein Teil des Roten Kreuzes zu sein, und hier die höchste ehrenamtliche Funktion auszufüllen, macht mich selbstverständlich stolz. 

Was sind die dringendsten Aufgaben, die jetzt auf Sie warten?
Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Die Arbeit meines Vorgängers war solide; darauf können wir gut aufbauen. Es wird die einen oder anderen Veränderungen geben – beispielsweise möchte ich Schwerpunkte in den Ausbildungen oder in der Jugendarbeit setzen. Jetzt gilt es erst einmal, genau anzuschauen, an welchen Stellschrauben wir drehen können, um unsere Arbeit weiter zu verbessern.

Wie sieht es mit der Personalsituation aus: Verfügt das Rote Kreuz über genügend hauptberufliche und ehrenamtliche Mitarbeiter?
Freiwillige kann man beim Roten Kreuz nie genug haben. Wir bieten für alle, die sich ehrenamtlich engagieren möchten, vielfältigste Aufgaben an. Bedingt durch die vergangenen beiden Pandemiejahre mussten wir aber viele unserer Ehrenamtlichen hauptberuflich aufnehmen. Diese Personen fehlen uns nun als ehrenamtliche Mitarbeiter. Deshalb werden wir auch hier Maßnahmen setzen, damit wieder viele Freiwillige ihren Weg zu uns finden.

Wie wollen Sie ehrenamtlichen Mitarbeitern die Tätigkeit »schmackhaft« machen?
Das Rote Kreuz hat den großen Vorteil, dass wir eine unglaublich vielseitige Organisation sind. Wir bieten für jedes Talent die passende Aufgabe in der Freiwilligkeit. Man muss nicht unbedingt im Rettungsdienst mitarbeiten, es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, je nach dem, ob man sich nur ein paar Stunden im Monat oder auch regelmäßig mehrmals pro Woche engagieren möchte. Anderen Menschen zu helfen ist eines der wichtigsten Motive für Österreichs Freiwillige, dabei auch noch Spaß haben und etwas Nützliches zum Gemeinwohl beitragen, folgt knapp danach. Wir sprechen immer von der »Rotkreuz-Familie« – und das empfinde ich nach vielen Jahren der freiwilligen Tätigkeit noch immer so – bei uns findet jeder seinen passenden Platz. Wir haben laufend Infoabende, präsentieren uns auf Messen und setzen auch verstärkt auf Marketingaktivitäten. Der neue Landesfreiwilligenreferent kommt ja aus der Bezirksstelle Wolfsberg, gemeinsam mit ihm werden wir uns überlegen, wie wir die Freiwilligkeit attraktiver gestalten können.

Haben Sie sich bei Ihrem Vorgänger Peter Ambrozy Tipps für die Präsidenten-Arbeit geholt?
Ich war unter Peter Ambrozy zweiter Vizepräsident des Roten Kreuzes und kann selbstverständlich von dieser Erfahrung profitieren. Einen wichtigen Satz hat mir Peter Ambrozy mit auf den Weg gegeben: »Pass auf das Rote Kreuz auf!«

Im Oktober 2020 gab es in Wolfsberg einen Unfall mit einem Einsatzfahrzeug, bei dem eine Pkw-Lenkerin ums Leben kam. Welche Maßnahmen wurden getroffen, um solche Unfälle zu vermeiden?
Dieser tragische Unfall hat uns alle tief erschüttert. Unser größtes Anliegen ist es, den Menschen zu helfen, dementsprechend tragen wir seit jeher dafür Sorge, dass unser Personal bestmöglich ausgebildet ist. Das Rote Kreuz hat bundesweit seit vielen Jahren die strengsten Richtlinien für das Fahren mit Einsatzfahrzeugen. Wir investieren in die Sicherheit unserer Fahrer laufend durch Training und Ausbildung. Mit unseren Rettungsfahrzeugen legen wir pro Jahr über neun Millionen Kilometer zurück und transportieren über 280.000 Patienten.

»Wenn es nicht anders geht, holen wir die Polizei, dann beruhigt sich die Situation meist schnell«
Martin Pirz, Kärntner Rotkreuz-Präsident

 Wie sehr treffen die zuletzt stark gestiegenen Energiepreise das Rote Kreuz, beispielsweise bei der Fahrzeugflotte?
Vorausschicken darf ich, dass die Versorgung unserer Patienten sichergestellt ist. Bei knapp 12,5 Millionen gefahrenen Kilometern in allen Leistungsbereichen kann man sich aber ausrechnen, dass sich die hohen Spritpreise auch auf uns auswirken. Wir haben Mehrkosten von über 40 Prozent seit Jahresbeginn – und das wird sich noch steigern. Letztlich werden wir mit unseren Auftraggebern über eine Erhöhung der Kostenbeiträge sprechen müssen.

Wie sieht der Stellenwert des Roten Kreuzes in der Gesellschaft aus? Wird die Arbeit der Mitarbeiter genügend geschätzt?
Zigtausende Menschen in Österreich arbeiten ehrenamtlich beim Roten Kreuz, sind Blutspender oder unterstützen uns durch ihre Mitgliedschaft und Geldspenden. Das alleine beweist, dass das Rote Kreuz hohes Vertrauen genießt und geschätzt wird. Dafür können wir gar nie genug »Danke« sagen!  

Zuletzt war immer wieder von Gaffern bei Unfällen die Rede. Was sagen Sie zum Phänomen, zu fotografieren statt zu helfen?
Bei Rettungseinsätzen zählt jede Minute. Es ist unter Umständen lebenswichtig, so schnell wie möglich und ungehindert Erste und weitere professionell Hilfe leisten zu können. Eine Behinderung durch Schaulustige kann also im schlimmsten Fall lebensbedrohlich für die Unfallopfer sein. Erste Hilfe ist eine gesellschaftliche Verpflichtung jedes Einzelnen. Erste Hilfe-Kurse bieten wir aber auch beim Roten Kreuz an – wer das Helfen übt, hat auch weniger Scheu davor. Ich kann nur empfehlen, solche Kurse zu besuchen.

Wie sollten Gaffer sanktioniert werden? Sind die derzeit geltenden Strafen von bis zu 500 Euro für Schaulustige ausreichend?
Für uns stellt sich diese Frage nicht, für uns steht immer die Menschlichkeit im Vordergrund. Jeder muss selbst entscheiden, ob er hilft oder fotografiert. Ich kann als Rotkreuz-Präsident nur appellieren, zu helfen statt zu schauen. Wer Erste Hilfe leistet, hat keine Zeit zum Fotografieren.

Mitarbeiter des Roten Kreuzes werden bei Einsätzen immer öfter tätlich angegriffen. Gibt es diesen »Trend« auch in Kärnten?
In Ausnahmefällen kommt es vor, dass auch unsere Kollegen im Einsatz mit aggressiven Patienten zu tun haben. Grundsätzlich sind unsere Leute gut geschult und wissen damit umzugehen, hier sind Menschen in Ausnahmesituationen, häufig spielt auch ein höherer Grad der Alkoholisierung eine Rolle. Wenn es nicht mehr anders geht, holen wir die Polizei zu Hilfe, dann beruhigt sich die Situation meist sehr schnell.

Die Corona-Pandemie hat die Bevölkerung in zwei Lager gespaltet. Hat auch das Rote Kreuz mit Covid-Leugnern zu tun, die Mitarbeiter bedrohen oder zu beeinflussen versuchen?
Vereinzelt hat es bei den Impfstraßen Vorfälle gegeben, wo Menschen quasi Dampf abgelassen haben. Das Rote Kreuz war da ja überall vor Ort und greifbar.

Wie sehr hat sich die Arbeit des Roten Kreuzes während der Pandemie vermehrt, bzw. verändert?
Unsere Arbeit hat sich gewaltig vermehrt und verändert. Wir unterstützen die Politik, die Behörden und alle Partner und Beteiligten, um der Kärntner Bevölkerung zu helfen. Neben dem ständigen Tragen der persönlichen Schutzausrüstung sind auch  viele zusätzliche Tätigkeitsbereiche für uns dazu gekommen. 2021 haben wir über 1,2 Millionen Testungen durchgeführt, über 10.000 Covid-19-Verdachtsfälle oder positive Personen transportiert und bei über 400.000 Impfungen mitgewirkt. Wir haben gezeigt, dass man sich auf das Rote Kreuz in jeder Situation verlassen kann. Die größte Herausforderung war, dass wir neben der Aufrechterhaltung unseres normalen Dienstleistungsangebots kurzfristig einen hohen Leistungsbedarf beim Testen und Impfen hatten.

Zuletzt gab es einen Blutspende-Aufruf, der großes Echo in der Bevölkerung auslöste. Fürchten Sie bereits den nächsten Engpass?  
In den vergangenen Wochen haben viele Menschen in Kärnten Blut gespendet. Dadurch ist die Versorgung der Krankenhäuser mit den lebensrettenden Blutkonserven für die nächsten Wochen sicher. Wir verlieren dieses Thema aber nicht aus den Augen, Blut ist nicht künstlich herstellbar, eine Blutkonserve nur 42 Tage haltbar. Ich bitte weiterhin darum, Blut zu spenden. Übrigens: Alle Spender werden per SMS informiert, sobald »ihre« Konserve an ein Krankenhaus ausgeliefert wurde – man wird so wirklich unmittelbar zum Lebensretter.

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