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Völkermarkt. Sie stellt sich vor als Lucia, freireisende Bäckerin. Der Nachname spielt keine Rolle. Sie stammt aus Würzburg (Deutschland) und befindet sich seit April 2016 auf der Walz. Mit Walz werden die Wander- oder Gesellenjahre nach einer abgeschlossenen Lehre bezeichnet. Mindestens drei Jahre muss man unterwegs sein, um in fremden Regionen Arbeits- und Lebenserfahrung zu sammeln. Vom Spätmittelalter bis zur Industrialisierung war die Walz die Voraussetzung dafür, dass man zur Meisterprüfung antreten durfte. Heutzutage ist das natürlich nicht mehr so, dennoch sind laut Lucia rund 600 Walzer weltweit unterwegs, die meisten davon im deutschsprachigen Raum.
Lucia verschlug es bereits zwei Mal nach Unterkärnten. Am vergangenen Wochenende war sie wieder zu Fuß auf der Durchreise in Richtung Graz und musste aufgrund des Wintereinbruchs einen Halt bei zufällig getroffenen gastfreundlichen Völkermarktern machen. Dabei hatte sie Zeit für ein Gespräch mit den Unterkärntner Nachrichten.
Strenge Regeln
Als Wandergesellin hat sich Lucia strengen Regeln unterworfen. So hat sie immer ihre Kluft zu tragen, die aus Hut, weißer Bluse, Gilet, Jacke und Hose besteht, um in der Öffentlichkeit stets als reisende Handwerkerin erkennbar zu sein. Das schwarz-weiße Karomuster auf dem Gilet und den Ärmeln der Jacke steht dabei für das Bäckergewerbe. Handy und Laptop sind tabu, ebenso darf sie den »Bannkreis« von 50 km um ihren Heimatort nicht betreten. »Ich treffe meine Familie alle paar Monate. Wenn ich irgendwo einmal Zugang zu einem Computer bekomme, schreibe ich eine E-Mail«, erklärt Lucia. Ebenso wenig darf sie Geld für Transport und Unterkunft ausgeben. So geht sie eben zu Fuß oder fährt per Anhalter und schläft im Freien oder bei Leuten, die sie aufnehmen. »Auch in Pfarrhöfen darf man meistens übernachten«, fügt die Bäckerin hinzu.
Weitgereiste Bäckerin
Wo es die Möglichkeit gibt, fragt sie in Bäckereien nach Arbeit. Unter anderem arbeitete sie einen Monat in einer Bäckerei in Rumänien, wo sie sich insgesamt zweieinhalb Monate aufhielt. Weitere Stationen ihrer Reise waren bisher Deutschland, Österreich, Italien und Spanien. In Rumänien war Lucia eine Zeit lang mit zwei weiteren Wandergesellen unterwegs, die meiste Zeit ist sie jedoch allein auf Wanderschaft. Ob sie dabei nicht schon in gefährliche Situationen gekommen ist? »Nein«, sagt Lucia, »das Gefährlichste waren bis jetzt die unzähligen Straßenhunde in Rumänien.«
Obwohl die Würzburgerin ihre drei Jahre seit April 2019 offiziell »voll« hat, wandert sie weiter. »Mein nächstes Ziel ist Frankreich«, verrät Lucia. Doch zuvor geht es einmal weiter nach Graz, wo in dieser Woche ein Walz-Treffen stattfindet, auf dem sich Lucia mit anderen Wandergesellen trifft. »Rund 40 verschiedene Gewerke gehen auf die Walz«, weiß Lucia.
Fasziniert hat das Wandergesellen-Leben die 25-Jährige bereits seit ihrer Kindheit, als ihr Vater ihr davon erzählte.
Als Jahre später klar war, dass auch sie auf die Walz gehen würde, musste sie erst einen Altgesellen finden, der den Kontakt zur Walzgesellschaft herstellte. Quasi als Aufnahmeritual wurde ihr dabei von einem anderen Gesellen mit einem Nagel ein Loch ins rechte Ohrläppchen gestochen. »Das klingt jetzt schlimmer, als es in Wirklichkeit war«, lacht Lucia. Darin trägt sie seitdem einen Ohrring in Form eines Törtchens als weiteres Erkennungszeichen.
Guten Ruf hinterlassen
Im Laufe des Gesprächs wird schnell klar, dass Lucia auch der letzten Regel mühelos gerecht wird, nämlich der, immer einen guten Ruf zu hinterlassen, um den Weg für nachkommende Wandergesellen zu bereiten.
Nach ihren Wanderjahren möchte sie als Bäckerin arbeiten. Wo und in welcher Form, will sie sich aber noch offen lassen, genauso wie das Ende ihrer Walz: »Sie hat mich neben den beruflichen Erfahrungen auch persönlich enorm weitergebracht.«
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