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Am 7. Oktober startete die radikale Palästinenserorganisation Hamas einen Großangriff auf Israel. Wie ist es Ihnen ergangen, als Sie davon erfuhren bzw. die ersten Bilder sahen?
Als ich in der Früh die ersten Nachrichten hörte, habe ich das nicht so recht wahrgenommen, weil Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel fast täglich stattfinden. Erst im Laufe des Vormittags, als das Ausmaß des Terrorangriffs bekannt wurde, habe ich sofort Kontakt zu Freunden und Bekannten in Israel aufgenommen. Zum Glück ist von ihnen niemand verwundet worden oder ums Leben gekommen.
Was haben Ihre Freunde und Bekannten berichtet?
Ich habe bereits bei den ersten Nachrichten den Schock mitbekommen, unter dem sie standen, der dann am Nachmittag, als ich das ganze Drama mitbekommen habe, eingesetzt hat.
Seither bin ich in regelmäßigem Austausch mit ihnen und habe auch angeboten, dass ich für alle eine offene Tür habe, falls jemand aus dem Land raus und ein wenig Ruhe haben möchte.
Dass einmal etwas kommen würde, hat jeder gewusst. Aber man hat mit Terroranschlägen oder einem neuen palästinensischen Aufstand gerechnet. Was jetzt passiert ist, hat man sich in dieser Dimension nicht vorstellen können. Noch dazu, da der Gazastreifen abgeriegelt und überwacht war. Es war letztendlich ein Abschlachten von Menschen, und da sitzt der Schock extrem tief.
Was sind die größten Sorgen Ihrer Freunde in Israel?
Es geht ihnen natürlich nicht gut, weil ihnen jegliche Zukunftsperspektive fehlt und keiner weiß, wie es weitergehen bzw. wie das Ganze noch ausarten wird. Es ist eine drastische Einschränkung des Lebens, die Schulen haben geschlossen, die meisten Mitarbeiter in Unternehmen sind im Homeoffice. Überall müssen die Menschen mehrmals am Tag in die Luftschutzbunker laufen.
Die Mehrheit meiner Freunde und Bekannten lebt in Tel Aviv und Haifa. Sie wollen es aussitzen, denn diese Städte waren nicht so stark von den Angriffen betroffen.
Die Ungewissheit beschäftigt die Menschen natürlich. Jemand hat gesagt, dass es für viele leichter ist, wenn sie wissen, ihre vermissten Angehörigen sind tot, als nicht zu wissen, wo sie sind und was die Terroristen mit ihnen möglicherweise Schreckliches anstellen.
Man merkt in den Gesprächen aber auch, dass es den Menschen gut tut, dass es international einen so großen Rückhalt gibt, und man sieht, dass auch außerhalb des Landes Solidarität mit Israel vorhanden ist.
Es war ein großer koordinierter Angriff mit Raketen, Booten und Terroristen am Boden. Wie konnte eine so große Aktion unentdeckt vorbereitet werden?
Wie man in den Medien hörte, wurde die Aktion über ein Jahr vorbereitet. Fakt ist: Dass man das nicht bemerkt hat, ist ein Totalversagen des Mossad und des Aman (Anm.: militärischer Nachrichtendienst). Viele machen auch die aktuelle Regierung und die innenpolitische Krise dafür verantwortlich, denn so geschwächt wie die Regierung derzeit ist, war es der beste Zeitpunkt für die Terroristen.
Was kritisieren Sie an dieser Regierung?
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich mit Rechtsextremen in eine Regierung gesetzt, um seine Haut zu retten und von den Korruptionsskandalen abzulenken. Er steht einer rechts-religiösen Regierung vor und wird die nächste Wahl mit Sicherheit nicht »überleben«.
Was für eine Regierung wünschen Sie sich für das Land?
Eine, die die Friedensbemühungen auch tatsächlich ernst nimmt, die das Existenzrecht der Palästinenser anerkennt und die Zwei-Staaten-Lösung durchsetzt.
Das wäre im Jahr 2000 fast gelungen, als der Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jasser Arafat, und der israelischen Premierminister Ehud Barak Gespräche führten. Aber nachdem Barak dann die Wahlen verloren hatte und Arafat 2004 gestorben war, war niemand mehr in der Lage, einer Lösung nahe zu kommen.
Befürchten Sie, dass sich nun auch die Hisbollah aus dem Libanon einmischen und Israel in einen Mehrfrontenkrieg verwickeln wird?
Meine laienhafte militärische Einschätzung: Wenn es zwischen Hamas und Hisbollah koordiniert gewesen wäre, hätte die Hisbollah gleichzeitig angegriffen. Die Beschüsse aus dem Libanon dienen vermutlich dazu, ein Gruppenkontingent der israelischen Armee im Norden zu binden.
Es wird vermutet, dass die Annäherung zwischen Israel und Saudi Arabien ein Grund für die Angriffe war. Wie sehen Sie das?
Es gibt eine politische und wirtschaftliche Annäherung und es wird diskutiert, ob man nicht gegenseitig Botschaften eröffnen sollte. Ich denke, mit den Anschlägen möchten die Terroristen erreichen, dass Saudi Arabien zeigt, auf welcher Seite es eigentlich steht. Saudi Arabien ist eine Macht im Nahen Osten, und eine Annäherung an Israel stößt der Hamas sicher sauer auf.
In der österreichischen Presse wird Kritik an der israelischen Siedlungspolitik laut. Was sagen Sie dazu?
Ich teile diese Kritik. Es ist sicher eines der heikelsten Themen. Meiner Meinung nach ist es für niemanden nachvollziehbar: Wenn man eine Zwei-Staaten-Lösung haben möchte, kann man nicht in Gebieten, die den zweiten Staat darstellen sollen, jüdische Siedlungen errichten. Das Problem dabei sind nicht die Bürger aus Tel Aviv oder Haifa, sondern konservative oder orthodoxe-rechte jüdische Siedler. Wenn man sich das Westjordanland ansieht, ist es ein Fleckerlteppich, voll mit jüdischen Siedlungen. Da wird auch Israel über seinen Schatten springen müssen.
Aufgrund der Ereignisse ist es auch in Österreich zu Demonstrationen gekommen. Zum einen um Solidarität mit Israel zu zeigen, aber es gab auch propalästinensische Demonstrationen. Was sagen Sie dazu?
Es gab eine spontane Solidaritätskundgebung für Israel, und am Mittwoch der Vorwoche wurde eine Kundgebung von der Israelitischen Kultusgemeinde und der österreichische-israelischen Gesellschaft in Wien organisiert. Kritisieren muss ich die Demonstrationen der Palästinenser für die Hamas. Das waren schreckliche Bilder. Ich denke allen Österreichern ist klar, dass man Mörder nicht feiern darf.
Unverständlich war für mich, dass propalästinensische Demonstranten am Mahnmal für die Opfer des Faschismus vor dem Bundeskanzleramt saßen und die Polizei nicht eingeschritten ist.
Sie sind Präsident der Landesgruppe Kärnten der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft. Was macht die Gesellschaft?
Wir möchten die Österreicher über Israel informieren und das Land in einem anderen Licht zeigen, als es sich viele vorstellen. Es ist kein ultra-religiöser Staat. Nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung sind ultra-religiös. Und das möchten wir auch so in Österreich transportieren. Ein Beispiel dazu: In einer Woche in Tel Aviv sehe ich weniger ultra-orthodoxe Juden als in Wien.
Harry Koller wurde 1970 in Wolfsberg geboren und ist in Wolfsberg und Klagenfurt aufgewachsen. Er ist gelernter Bürokaufmann und war nach der Lehre als Jugendsekretär der GPA in Wien tätig. Danach war er Generalsekretär beim Österreichischen Bundesjugendring und schließlich vier Jahre im Datenmarketingbereich tätig. Von 2004 bis 2011 war er Geschäftsführer der österreichisch-israelischen Handelskammer. Seit 2014 ist
er Landesgeschäftsführer des Renner-Instituts Kärnten, seit 2015 sitzt er für die SPÖ im Wolfsberger Gemeinderat.
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