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Friedrich Orter: »Wenn die USA aus dem Bündnis der NATO austreten, dann – viel Glück Europa«Ausgabe 29 | Mittwoch, 17. Juli 2024

Friedrich »Fritz« Orter war das »Gesicht« des Kriegs: Von 1989 bis 2012 berichtete für den ORF aus Krisengebieten auf der ganzen Welt. Jetzt feierte der gebürtige St. Georgener seinen 75. Geburtstag. Warum er sich nicht als Kriegsberichterstatter sieht, sagt er im Interview.

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Sie haben viele Jahre lang von Kriegsschauplätzen berichtet. Derzeit hätten Sie wieder jede Menge zu tun, es »brennt« an vielen Ecken. Wie sehen Sie die derzeitige Weltlage?
Realistisch. Der russische Präsident Wladimir Putin versucht den Ukrainekrieg in die Länge zu ziehen in der Hoffnung, dass Donald Trump im November die Präsidentschaftswahlen gewinnt und die Ukraine  keine US-Unterstützung mehr bekommt. Wenn Trump seine Drohung wahr macht, die NATO zu schwächen oder die USA aus dem Bündnis austreten, dann – viel Glück Europa! Der alte Kontinent ist aus eigenen Kräften nicht verteidigungsfähig. Klimakrise, Migration, Konfrontation mit islamistischen Kräften verändern europaweit die Gesellschaften. Das wird noch eine riesige Herausforderung.

Wie verbringen Sie Ihren Ruhestand? Sind Sie noch viel auf Reisen?
Es war ein gleitender Unruhestand in den vergangenen Jahren. Bis 2019 habe ich noch mehrere TV-Dokumentationen für den ORF gestaltet, darunter auch einen Film über meine alte Heimat Kärnten.

Sie lehnten für sich die Bezeichnung »Kriegsberichterstatter« ab, Sie bezeichneten sich als »Friedensreporter«. Warum?
Das erklärt sich aus meiner humanistischen Gesinnung. Ich wollte denen eine Stimme geben, die im Krieg keine haben, den Opfern.

Als Journalist gerieten Sie auch persönlich ins Visier von Kriegsparteien. Gibt es Weltgegenden, die Sie seither meiden?
Nein. Den Balkan habe ich seither immer wieder bereist, selbst nach Afghanistan, in den Irak oder nach Syrien möchte ich noch einmal fliegen.

Was war Ihre »schönste« Erfahrung in einem Kriegsgebiet?
Dass ich manchmal Menschen mit Medikamenten und Lebensmitteln helfen konnte, Familien im belagerten Sarajevo oder verzweifelten Eltern krebskranker Kinder in einem Kinderspital im südirakischen Basra.

Was war die Schlimmste?
Das Banalste. Bei 50 Grad Außentemperatur im Hochsommer in der irakischen Hauptstadt Bagdad in einem Hotellift eingeschlossen zu sein, der steckenblieb, weil das Notstromaggregat ausgefallen war. Diese wenigen Minuten kamen mir damals wie die Ewigkeit vor – mit der Angst, ersticken zu müssen. Das war‘s, dachte ich mir, der nutzloseste Reporter ist ein toter Reporter. Meinem Leibwächter gelang es irgendwie, Diesel aufzutreiben und das Aggregat wieder anzuwerfen. Halb ohnmächtig fiel ich aus dem Fahrstuhl und begann wenig später mit meinem Kameramann meinen für die ZiB geplanten Beitrag zu schneiden.

Wie verarbeitet man die Erlebnisse in Kriegsgebieten? Konnten Sie sie hinter sich lassen oder verfolgen sie Sie bis heute?
Das, was in der psychologischen Fachliteratur »posttraumatische Belastungsstörung« heißt, ist mir erspart geblieben. Aber mit zunehmendem Alter träume ich häufiger von meinen Einsätzen, mit mitunter skurrilen Folgen: Dass ich mit einem Beitrag für eine Sendung nicht rechtzeitig fertig werde. Aber dann wache ich zum Glück auf.

Vermissen Sie Ihre Arbeit, die damit verbundene Spannung und den Adrenalinausstoß?
Nein. Ich muss mit 75 nicht mehr in einem Schützengraben herumrennen  oder mich inmitten eines Gefechts mit der Bundesheer-Erfahrung »Sprung-Vorwärts-Decken« auf den Boden werfen. Die paar Schrammen , die mir blieben, und ein gebrochenes Nasenbein,   reichen.

Von wie vielen Kriegsschauplätzen haben Sie berichtet?
Ich habe von vierzehn Kriegsschauplätzen berichtet. Schwerpunkte waren der Balkan, der Nahe und der Mittlere Osten, Zentral-und Südostasien.

Gab es Konflikte, von denen Sie gerne berichtet hätten, aber nicht dabei waren?
Ja, der Völkermord in Ruanda von April bis Juni 1994, wo bis zu einer Million Menschen umgebracht wurden. Für mich ist es heute noch unvorstellbar, wie so etwas möglich war. Das war und ist schon in Friedenszeiten eine mir bis heute fremde Welt, obwohl ich auch mehrere afrikanische Länder bereist habe.

2017 erschien Ihr letztes Buch »Der Vogelhändler von Kabul«. Arbeiten Sie derzeit an einem neuen?
Es gibt einige Ideen, aber die Steuer- und Sozialversicherungs-Regelungen für Pensionisten schränken meine Lust auf literarische Kreativität eher ein.

Sie sind nun 75 Jahre alt. Wie fühlen Sie sich?
Wie mit 74,  nur ein Jahr älter.

Journalisten sind es gewohnt, auch persönlich im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Wie haben Sie den Beginn Ihres Ruhestands 2012 erlebt? War es plötzlich ungewohnt still?
Nein, überhaupt nicht. Auch nach der Pensionierung war ich immer wieder als sogenannter Experte in ZiB-Sendungen und diversen Diskussionsrunden eingeladen.

Hat sich der Journalismus seither verändert? Wie beurteilen Sie die derzeitige Berichterstattung aus der Ukraine, dem Gaza-Streifen, aus Syrien?
Und wie! Die Waffensysteme haben sich radikal verändert, die technologischen Möglichkeiten der Berichterstattung im Zeitalter von Fake News, der Propagandaapparat der Kriegsparteien, der Bilderkrieg im Internet – nur eines hat sich nicht geändert: das Sterben unbeteiligter und unschuldiger Zivilisten.

Sie wuchsen in St. Georgen auf, einer schönen Gemeinde, aber nicht der Mittelpunkt des Weltgeschehens. Wie war Ihr Weg zu den Brennpunkten der Weltpolitik?
Für jemanden, der ohne Internet und Smartphone aufwuchs, war es die Welt der Bücher. Im dörflichen Pfarramt gab es eine Bücherei, aus der ich – und das ist mir noch heute in Erinnerung – James Fenimore Coopers »Der letzte Mohikaner«, Karl Mays »Der Waldläufer« und ein Buch mit dem Titel »Wie Bell das Telefon erfand« entlehnt habe. Dazu kam als Gymnasiast dann auch die Bibliothek  im Stift St. Paul und im Stiftsgymnasium, die meine Lust am Lesen weckten.  Und diese Freude an Büchern hält bis heute an.

Wann haben Sie Ihren Heimatort zuletzt besucht? Halten Sie Kontakt ins Lavanttal?
Vor wenigen Tagen zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Bei der Gelegenheit besuchte ich auch die aktuelle Ausstellung im Stift St. Paul und den Sportplatz neben dem Gymnasium – und hier speziell den Platz, wo zum Ausklang des Schuljahrs 1966 mir bei einem Sportfest ein Mitschüler beim Kugelstoßen-Wettbewerb unglücklicherweise eine Kugel auf den Kopf warf. Ich ging k.o., war mit Schädelbruch mehrere Wochen im Krankenhaus, aber sage mir seit damals selbst immer wieder scherzhaft: Das hat dich abgehärtet für den Rest deines Lebens.

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