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Pszczyna, Bad St. Leonhard. Er kam in den Wirren des Zweiten Weltkriegs 1945 ums Leben, seine Gebeine ruhen in einer Wiese im polnischen Dorf Czarków nahe der Stadt Pszczyna (auf Deutsch Pless) in Oberschlesien. Der Zufall brachte im Vorjahr ans Licht, was aus Johann Ragger, genannt Hans, Soldat der deutschen Wehrmacht, geworden ist. Er musste aus dem Lavanttal in den Krieg ziehen und kehrte nie zurück. Vielleicht erinnert sich in Bad St. Leonhard, woher er vermutlich stammte, noch jemand an ihn.
»Als sie den Zaun überkletterten, wurden sie beschossen. Hans starb«
Roman Golus, polnischer Historiker
Roman Golus, ein pensionierter Bergmann, der seit vielen Jahren die Geschichte seiner polnischen Region erforscht, wandte sich mit einer Bitte an die Unterkärntner Nachrichten: »Helfen Sie uns bei der Suche nach der Familie von Hans Ragger.« Golus dokumentiert mit einer Gruppe von Freunden vergessene Kriegsgräber – polnische, russische und deutsche. In einer E-Mail schildert er, was bisher über Ragger bekannt ist: »Vergangenes Jahr erhielten wir eine Nachricht eines Bewohners von Czarków. Im Januar 1945 hatte sein Großvater die Leiche eines deutschen Soldaten gefunden, der von den Russen erschossen worden war. Er vergrub sie auf seinem Feld und versteckte die Dokumente des Toten zu Hause.«
»Mein Schatzerle«
Im Vorjahr wurden diese Dokumente bei der Renovierung des Hauses wiederentdeckt. Es handelt sich um eine Brieftasche, einen Brief und ein Hochzeitsfoto. Am Kopf des Schreiben steht »St. Leonhard«, das Datum ist nur teilweise erhalten: 2. Dezember 194x. Der Inhalt beginnt so: »Mein innigst geliebter, herzensguter XX (unleserlich), viele 1.000 Bussis und Grüße von Deinem Frauerl. Mein Schatzerle, wie gehts dir denn ...«
Golus: »Der Brief wurde von einer Frau namens Anette an einen Soldaten namens Hans (Johann) Ragger geschrieben. Der Umschlag hat die Feldpostnummer 16091. Das ist die Postnummer des Artillerie-Regiments 81 der 97. Jäger-Division. Eine Nachricht über dieses Grab wurde bereits an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. geschickt.«
Laut dem polnischen Forscher suche diese Einrichtung aber nicht nach den Familien gefallener Soldaten. Um den Angehörigen trotzdem Nachricht über das Schicksal Raggers zukommen zu lassen, bat Golus um die Veröffentlichung des Namens und der Fotografie.
Das Bild zeigt ein Paar nach dessen Hochzeit (siehe oben). Die Braut trägt ein weißes Kleid und einen Blumenstrauß, der schlanke junge Mann eine Brille und eine Wehrmachtsuniform mit dem Rangabzeichen eines Gefreiten.
Golus übermittelte einen Link zu einem polnischen Zeitungsartikel, in dem der Landwirt Krzysztof Szendera zitiert wird, auf dessen Land Ragger liegt: »Ich habe von dem deutschen Soldaten gewusst, der seit meiner Kindheit auf meiner Wiese begraben ist. Meine Mutter erzählte mir, dass er 1945 erschossen worden war.« Mit ihr sei er zu Allerheiligen zum Grab gegangen, um eine Kerze anzuzünden. Mittlerweile ist von der Begräbnisstätte nichts mehr zu sehen. Der Bauer denkt aber noch daran, wenn er mit seinem Traktor die Wiese mäht ...
Der Artikel enthält auch ein Foto der Erkennungsmarke Raggers, zu der Golus schreibt: »Die Aufschrift lautet ›Gen.B / G.A.E.A.79.319.A‹. Das bedeutet Genesenden-Bataillon, Gebirgsartillerieersatzabteilung 79, Soldat Nummer 319, Blutgruppe A. Diese Einheit kämpfte in unserer Gegend.«
Wie Ragger zu Tode kam, schildert der Historiker, der sich dabei auf Informationen von Bewohnern des Dorfes Czarków und aus dem russischen Militärarchiv stützt, so: Am 28. Jänner 1945 sei es im polnischen Jaroszowice zu heftigen Kämpfen zwischen Russen und Deutschen gekommen. »Einige überlebenden Soldaten, darunter Hans, rannten in Richtung der Wälder von Pszczyna. Dort befanden sich mehrere hundert deutsche Soldaten. Im Kampf gegen eine russische Division wurden 150 deutsche Soldaten getötet und 200 gefangen genommen. Hans verließ die Umzingelung, und als sie zusammen mit einem Freund durch den Wald gingen, erreichten sie das Dorf Czarków. Am Waldrand befand sich ein Holzzaun. Als sie ihn überkletterten, wurden Hans und sein Kamerad von den Russen beschossen. Hans starb, der andere Soldat erreichte die deutschen Gräben.« Ragger wurde begraben, seine Dokumente versteckt. »Es war sehr riskant, wenn die Russen diese Dokumente gefunden hätten, wäre man nach Sibirien geschickt worden«, so Golus.
Angehörige, bitte melden
Wer sich an Hans Ragger oder seine Frau Anette erinnert, kann sich gerne an die Unterkärntner Nachrichten wenden. Laut Golus wurde Raggers Körper bisher aufgrund der Pandemie nicht exhumiert. Er wird der Familie gerne den genauen Standort mitteilen.
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