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Das Jahr 2020 war durch die Corona-Pandemie ein für alle besonderes Jahr. Wie war das Jahr für Sie aus beruflicher Sicht mit all den Einschränkungen, Vorsichtsmaßnahmen usw.?
Es war sehr spannend. Ganz am Anfang dachte ich, es wird so sein, wie vor einigen Jahren bei SARS und MERS. Das waren zwei sehr gefährliche Krankheiten, aber sie waren nur kurzfristig da. Als ich von den ersten Fällen hörte, dachte ich, es wird so ähnlich werden: Es wird kommen und gleich wieder verschwinden. Als nach einigen Wochen die ersten Fälle in Italien auftauchten, wurde mir bewusst, dass das nicht mehr so schnell verschwinden wird. Da musste ich etwas tun. Ich habe mir regelmäßig die Podcasts des Virologen Christian Drosden angehört, und so habe ich mich in das Thema eingearbeitet und konnte mit meinen Patienten arbeiten.
Wie haben sich die Patienten bezüglich der Schutzmaßnahmen verhalten? Waren sie sehr diszipliniert oder mussten viele auf Maskenpflicht und Desinfizieren aufmerksam gemacht werden?
Wir haben von Anfang an Regelungen festgelegt, wie sich die Leute, die in die Ordination kommen, zu verhalten haben. Die Patienten mussten eine Maske tragen. Wer keine hatte, konnte bei uns eine erwerben. Es gab lediglich eine Person, die sich darauf versteift hatte, dass sie ohne Maske in der Ordination sein kann. Da sie keine Patienten, sondern nur eine Begleitperson war, habe ich ihr klargemacht, dass sie die Ordination zu verlassen hat.
Ansonsten hat es gut funktioniert. Manche Menschen, vor allem ältere Personen, trugen die Maske zwar so, wie man es nicht sollte, also unter der Nase. Aber diese Leute haben wir dann darauf aufmerksam gemacht und sie haben sich dann auch daran gehalten.
»Es wird viel Widerstand geben, aber aus medizinischer Sicht würde ich ja zur Impfpflicht sagen«
Dr. Harald Pressl, Arzt aus Wolfsberg
Waren die Maßnahmen, die von der Bundesregierung getroffen wurden, aus medizinischer Sicht ausreichend oder waren sie gar überzogen bzw. hätte man etwas anders machen sollen?
Nachher ist jeder schlau. Mit dieser Krankheit hatte zuvor nie jemand zu tun. Mein persönliche Meinung ist, wie man zu Beginn der Pandemie mit drastischen Maßnahmen reagiert hat, war völlig richtig. Der Beginn der Maßnahmen war sinnvoll, richtig und auch zum geeigneten Zeitpunkt.
Danach hat man meiner Meinung nach zu lange gewartet. Aber da kann man nicht der Regierung alleine die Schuld geben, sondern muss die gesamte Politik in die Pflicht nehmen. Wenn ich mir anschaue, welche Argumente die Opposition ins Spiel brachte, die überhaupt nicht stichhaltig waren, dann ist es schwer, Maßnahmen wie zu Beginn durchzusetzen.
Als die Infektionszahlen dann hoch waren und auch die Zahl der Verstorbenen anstieg, ist die Akzeptanz für die Maßnahmen trotzdem geschwunden. Das kann nur daran liegen, dass es so viele Querschüsse gab.
Sie haben es ja selbst erlebt: Kürzlich gab es diesen Spaziergang in Wolfsberg von Leuten ohne Maske. Wenn man schlimm ist, könnte man ihnen unterstellen, dass es ihnen egal ist, wenn die ältere Bevölkerung verstirbt. Die Leute denken nicht an sich selbst – das ist egal –, aber sie gefährden damit viele, viele andere.
Kam der zweite Lockdown zu spät?
Meine Meinung war schon lange, bevor überhaupt über einen zweiten Lockdown gesprochen wurde, dass man viel früher Testungen hätte machen müssen. Zum Beispiel, wenn man jemandem in einem Altersheim besuchen will, hätte man einen Test gebraucht. Auch Tests beim Personal wären wichtig gewesen. Dann hätte man schon viel früher Überträger absondern können. Drosden warnte bereits im Juli, dass die Zahlen in die Höhe gehen werden. Vielleicht hätte man schon damals reagieren sollen. Vielleicht mit Teil-Lockdowns. Aber wie gesagt: Hinterher ist man immer schlauer. Ich beneide niemanden, der das durchsetzen und danach auch beurteilen muss.
Sie haben die Tests angesprochen. Sind die Massentests in der Form, wie wir sie haben, überhaupt sinnvoll oder wäre es besser, so wie Sie zuvor sagten, gezielt zu testen?
Früher war es so, dass erst beim Auftreten von Symptomen ein Antigen-Test durchgeführt wurde. Das war lange Zeit die herrschende Meinung. War der Antigen-Test positiv, kam der PCR-Test. Es ist dabei auch wichtig zu wissen, dass ein Teil der Antigen-Tests falsch positiv ist. Man benötigt einen PCR-Test.
Die Massentests sind schon okay, aber sie müssen wesentlich öfter durchgeführt werden. Denn Tests sind nur eine Momentaufnahme.
Ich hatte genügend Patienten, die mit dem Antigen-Test negativ getestet wurden, aber trotzdem Covid-19 hatten.
Wurden bzw. werden Sie und Ihr Personal ausreichend getestet?
Wir werden überhaupt nicht getestet, und es ist auch nicht vorgesehen. Es wäre gut, wenn wir zwei Mal pro Woche getestet würden. Ich habe mir mittlerweile von der Universität Wien Antigen-Tests angeschafft.
Ich werde ab Jänner versuchen, die Tests beim Personal einzuführen und auch Patienten in meiner Ordination testen.
Jetzt gab es die erste Impfung im Land. Das Thema spaltet die Nation. Es gibt Menschen, die sich sofort impfen lassen möchten, dann gibt es welche, die wegen der kurzen Entwicklungszeit skeptisch sind, schließlich die Impfgegner. Wie ist Ihre Meinung zur Impfung?
Ich stehe der Impfung zu hundert Prozent positiv gegenüber. Wir haben nur zwei Varianten: Die erste Variante ist aufmachen, warten, bis die Menschen krank werden, wieder ein Lockdown usw. Viele Menschen werden sterben, vielleicht gibt es irgendwann einmal eine Durchseuchung. Schweden hat ja diesen Weg versucht und ist kläglich gescheitert. Das hat auch der schwedische König kürzlich im Fernsehen offiziell zugegeben, dass der schwedische Weg nicht der richtige war. Also so geht es nicht. Daher kommen wir um eine Impfung nicht herum.
Pfizer kann ja auf 40.000 Probanden zurückgreifen. Normalerweise gibt es verschiedene Phasen bei der Impfstoffentwicklung. Normalerweise bekommen die Prüfstellen am Ende einer Phase die Ergebnisse, und erst danach wird mit der nächsten Phase begonnen. Jetzt hat man es anders gemacht. Die Prüfstellen und die Impfberatungsstellen bekommen laufend Ergebnisse. Deswegen war man auch so schnell, und das ist in diesem Fall auch wichtig. Bei den 40.000 Probanden sind keine schwerwiegenden Fälle aufgetreten. Ob in fünf, sechs Jahren Fälle auftreten, bei denen es einen schwerwiegenden Fall pro eine Million gibt, ist in der derzeitigen Situation nicht relevant. Man kann nicht so lange warten. Dieser MRNA-Impfstoff ist neu, er baut Antikörper und Gedächtniszellen auf. Aber es gibt überhaupt keine Gefahr für eine Veränderung des Erbguts, wie man immer wieder hört.
Werden Sie sich impfen lassen und wann?
Ja, sobald ich zu der Gruppe gehöre, die zur Impfung dran kommt. Ich habe eine leichte Allergie. Es sind zwei Fälle von schwerwiegenden Wirkungen nach der Impfung aufgetreten. Aber diese beiden Personen haben nicht gesagt, dass sie eine schwere Allergie haben. Und schwere Allergien sind ein Ausschlussgrund. Diese beiden hätten überhaupt nicht geimpft werden dürfen. Das liegt in der Verantwortung des Patienten und des Arztes. Ausgeschlossen von der Impfung sind neben starken Allergikern auch Schwangere und Kinder unter 16 Jahren.
Wie stehen Sie zu einer Impfpflicht?
Da habe ich vor gar nicht so langer Zeit mit meinem rheumatologischen Mentor gesprochen. Er meinte, wir hätten die Pocken niemals ausgerottet, wenn es nicht weltweit eine Impfpflicht gegeben hätte.
Wenn ich keine andere Chance habe, die Bevölkerung zu schützen, habe ich persönlich überhaupt nichts dagegen, wenn man zumindest gewisse Gruppen, wie zum Beispiel das Gesundheitspersonal, verpflichtend zur Impfung schickt. Impfpflicht ist ein schwieriges Thema. Es wird sicher viel Widerstand geben, aber aus medizinischer Sicht würde ich ja zu einer Impfpflicht sagen.
Die Zahl der Grippefälle sei 2020 stark zurückgegangen, hieß es in den Medien. Können Sie das bestätigen? Und warum glauben Sie, ist das so?
Das habe ich bereits vor Monaten vorausgesagt, dass das so sein wird. Bei der Influenza weiß man, dass die Kinder die Verbreiter sind. Die Kinder sind zu Hause. Das Virus findet niemanden. Und deswegen sind wir heuer in der glücklichen Situation, dass es keine Grippewelle gibt. Wir werden es aber auch dringend brauchen. Denn Ende Jänner wird die nächste größere Belastung für das Gesundheitssystem garantiert da sein. Der aktuelle Lockdown wird nicht alle Probleme lösen.
Hatten Sie selbst eine Covid-19-Infektion?
Ich hatte keine. Sollte ich angesteckt worden sein, dann war es ein Verlauf, den ich selbst nicht bemerkt habe. Ich hatte in meinem Bekanntenkreis einige Coronafälle und auch bei meinen Patienten, sogar ein paar ganz schwere Fälle. Ich weiß das, weil ich meine Covid-19-Patienten während der Krankheit telefonisch betreut habe.
Das gesamte Interview hören Sie hier: https://youtu.be/Kwb9qCHeGH0
// Zur Person
Harald Pressl wurde 1953 in Radenthein geboren, seine Kindheit verbrachte er in Mallnitz und Radenthein, wo er die Volksschule besuchte.
Ab 1963 besuchte er das Stiftsgymnasium in St. Paul, wo er 1971 maturierte. Ab 1972 studierte er in Graz Medizin, und 1981 begann er mit der Ausbildung zum praktischen Arzt und Facharzt für innere Medizin am UKH Graz und LKH Wolfsberg.
Seit 1988 betreibt Harald Pressl eine Ordination in Wolfsberg.
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