Artikel
Wolfsberg. Gut gesehen hat Walter Tiefenbacher nie. Bereits in der Volksschule musste er immer in der ersten Reihe sitzen, trotzdem war nicht garantiert, dass er alles, was auf die Tafel geschrieben wurde, entziffern konnte. Eine wirkliche Behandlung gab es damals – Tiefenbacher wurde 1930 geboren – nicht.
Dennoch war der Wolfsberger ein guter Schüler und konnte sogar das Stiftsgymnasium St. Paul besuchen. Dieses musste er jedoch in der sechsten Klasse beenden, da sein Sehvermögen immer weiter nachließ und er seine eigene Schrift nicht mehr lesen konnte. »Danach habe ich am elterlichen Hof vulgo Pfeifenmacher in Wolfsberg im Stall gearbeitet«, erinnert sich der fast 90-Jährige, der im September seinen runden Geburtstag feiert. Dafür reichte seine Sehkraft noch aus, die er schleichend immer mehr verlor, bis er vor etwa 40 Jahren vollständig erblindete. Er erkrankte außerdem im Alter von eineinhalb Jahren an Kinderlähmung. Eine lebenslange Gehbehinderung war die Folge.
Erster Kontakt mit dem BSVK
Trotz seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten ließ sich Tiefenbacher nicht unterkriegen. Im Alter von 27 Jahren kam er erstmals mit dem 1946 gegründeten Kärntner Blinden- und Sehbehindertenverband (BSVK) in Berührung, der seinen Sitz in Klagenfurt hat. Er erlernte die Blindenschrift und trat 1958 seinen Dienst als Telefonist in der Khevenhüllerkaserne an. Bis zu seiner Pensionierung blieb er Beamter der Heeresverwaltung in Klagenfurt.
Ehrenamtlich engagierte er sich Zeit seines Lebens für den Blindenverband, zuerst als Kassier, dann als stellvertretender Obmann und schließlich von 1976 bis 2004 als Obmann. Er arbeitete auch im Dachverband mit, zeitweise war er Vizepräsident des österreichischen Blindenverbands. »Vergünstigungen, wie etwa billigere Bustickets oder Eintritte ins Strandbad haben wir alles damals erst ausverhandelt«, erinnert sich Tiefenbacher zurück. Er nahm in seiner aktiven Zeit am Weltblindenkongress in Straßburg teil und besuchte Blindenschulen in Moskau und St. Petersburg. Immer mit dabei war seine Frau Brigitte (86), mit der er seit über 60 Jahren verheiratet ist und die heute noch eine große Stütze für ihn ist: »Sie sieht für mich.« Gemeinsam hatten die beiden zwei Söhne, einer verstarb jedoch bereits vor neun Jahren.
Als Obmann des BSVK kümmerte er sich um die Werkstatt, das damals dazugehörige Blindenheim und die Mitgliederverwaltung. »Viele Blinde hatten niemanden, der sich um sie kümmert. Im Verband haben wir versucht, das Leben der Betroffenen zu erleichtern, haben Ausflüge und Theaterbesuche organisiert, aber auch Arbeitsplätze vermittelt oder Pflegegeld für sie verhandelt«, erklärt der rüstige Senior.
»Wir Blinden und Sehbehinderten brauchen kein Mitleid, aber Verständnis«
Walter Tiefenbacher
Ehrenobmann BSVK
Für sein ehrenamtliches Engagement erhielt der Wolfsberger im Laufe seines Lebens zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich, das ihm damals von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger überreicht wurde, das große Ehrenzeichen des Landes Kärnten oder die Goldene Ehrennadel der Stadt Wolfsberg, um nur einige zu nennen.
Auch in Sachen Schach konnte sich Tiefenbacher einen Namen machen: »Das Schachspielen war vom Gymnasium an mein größtes Hobby.« Er war 1950 Kärntner Juniorenmeister, außerdem wurde er Wolfsberger und später auch Klagenfurter Stadtmeister. Fünfmal nahm er auch an Blindenschacholympiaden teil: »Hier konnte ich relativ gute Ergebnisse auch gegen russische Schachspieler erringen.«
Ehrenobmann seit 2004
Seit 2004 ist Tiefenbacher Ehrenobmann des BSVK. Kürzlich gab es Neuwahlen im Verband. »Die neue Obfrau ist Michelle Struckl«, berichtet er. Selbst ist Tiefenbacher zwar nicht mehr aktiv, dennoch ist er gerne über Neuigkeiten im BSVK informiert und steht telefonisch mit Rat und Tat zur Seite, wenn Hilfe gebraucht wird. Nach Jahrzehnten in Klagenfurt lebt Tiefenbacher seit seiner Pensionierung 1990 wieder in Wolfsberg in seinem Elternhaus vulgo Pfeifenmacher, das mittlerweile einem seiner drei Enkel gehört. Ob Tiefenbacher jemals mit seinem Schicksal gehadert hat? »Ich bin seit 40 Jahren blind und kann es mit nicht mehr anders vorstellen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gerne meine 14 Monate alte Urenkelin einmal mit eigenen Augen sehen können.«
»Ich würde gerne meine 14 Monate alte Urenkelin einmal mit eigenen Augen sehen können«
Walter Tiefenbacher
... wenn er einen Wunsch frei hätte
Einen Appell richtet Tiefenbacher an alle Menschen: »Wir Blinden und Sehbehinderten brauchen kein Mitleid, aber Verständnis. Wir wollen als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden.« Er und seine Frau wünschen sich, dass nicht weggeschaut, sondern Blinden unter die Arme gegriffen wird, wenn sie zum Beispiel eine Straße überqueren wollen. »Zurufe können verwirrend und gefährlich sein. Sprechen Sie Blinde an, ob Sie sie über die Straße führen dürfen«, betont Tiefenbacher, der abschließend auch noch darauf aufmerksam machen möchte, dass sich der BSVK über Spenden freut, mit denen die Arbeit und Angebote des Vereins unterstützt werden.
0 Kommentare Kommentieren
Keine Kommentare gefunden!