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Wolfsberger Künstler Dohr arbeitet in London: »Von der Kunst zu leben, ist eine Herausforderung« Ausgabe 25 | Mittwoch, 21. Juni 2023

Der Künstler Michael Dohr (41) stammt aus Wolfsberg, lebt und arbeitet aber seit zweieinhalb Jahren in London, wo er sich der Malerei verschrieben hat. Wie das Leben in der englischen Hauptstadt ist und wo er seinen Apfelstrudel bekommt, verrät er im UN-Interview.

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Seit wann leben Sie in London?
Abgesehen von einigen Heimatbesuchen bin ich jetzt seit etwa zweieinhalb Jahren in London.

Warum ist es zum Umzug nach London gekommen? 
Ich bin nach London gezogen, um am Chelsea College of Art and Design Kunst zu studieren. Ich hatte das Gefühl, dass ich in meiner Arbeit im Lavanttal etwas isoliert und festgefahren war. Ich habe eigentlich schon seit vielen Jahren daran gedacht, diesen Schritt zu machen und wollte auch schon immer eine Zeit lang im Ausland verbringen. Als ich dann in Erfahrung gebracht habe, dass nach dem EU-Austritt Großbritanniens die ohnehin schon sehr hohen Studiengebühren auch für die europäischen Studierenden verdoppelt werden würden, wusste ich, dass ich nicht mehr länger warten konnte. 

Warum sind Sie nach dem Abschluss in London geblieben?
Ich wollte nach dem Studienabschluss noch eine Zeit lang in London bleiben, um die Kontakte, die ich hier schon knüpfen konnte, weiter auszubauen und die Kunstszene in London weiter zu erkunden. Es gibt in London sehr viele junge Galerien, und aufgrund der zahlreichen Kunstuniversitäten wie Goldsmiths, Slade, Chelsea College oder Royal College auch einen permanenten Nachschub an jungen Kunstschaffenden aus der ganzen Welt. Es ist sehr inspirierend in diesem Umfeld tätig zu sein.  

Wann wussten Sie, dass Sie Künstler werden möchten?
Eigentlich erst recht spät. Ich habe zwar seit meiner frühen Kindheit sehr viel gemalt und niemals vollkommen damit aufgehört, habe aber dann sehr viel Sport betrieben und ein Studium als Übersetzer und Dolmetscher absolviert. Erst Mitte bis Ende Zwanzig hat sich langsam gezeigt, dass ich wohl eher in Richtung Kunst gehen werde. 

Mit welcher Art von Kunst haben Sie begonnen?
Mein Einstieg in die Kunst war wie bei vielen das Zeichnen und die Malerei. Zunächst waren es sehr figurative Arbeiten, hauptsächlich Landschaften, Stillleben und Porträts. Heute würde ich vieles als Kitsch bezeichnen, aber man fängt halt einmal irgendwo an. Es hat bei mir sehr lange gedauert, meine künstlerische Ausdrucksweise zu finden, und ich denke, so wirklich ist das erst in den vergangenen Jahren und besonders hier in London passiert. Während des Studiums setzt man sich permanent mit der Arbeit der anderen Studierenden auseinander und das wirkt wie ein Inkubator für die eigene Arbeit.  

Gibt es irgendwelche Vorbilder?
Es gibt sehr viele Künstler, deren Arbeit mich in meinem Werk beeinflusst haben, und es kommen immer wieder neue dazu. Ich fühle mich besonders von Künstlern inspiriert, deren Werke einen besonderen Bezug zu Materialität haben und sich mit organischen Formen oder der Verschmelzung von Natur und Technologie auseinandersetzen. 

Die Arbeiten von Franz West, Martha Jungwirth, Phyllida Barlow, Anish Kapoor, Lynda Benglis oder Agata Ingarden finde ich zum Beispiel sehr spannend, und kürzlich konnte ich in der Tate Gallery of Modern Art das Werk von Maria Bartuszovà und Magdalena Abakanowicz entdecken. Die Installation von Annika Yi in der riesigen Turbine Hall der Tate Modern, in der die Künstlerin riesige quallenähnliche Wesen durch die Luft schweben ließ, ist mir auch sehr in Erinnerung geblieben.  

Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Werke?
Das ist ganz verschieden. Im Atelier hilft es mir sehr, von vielen unterschiedlichen Materialien umgeben zu sein. Ich interessiere mich für alle möglichen Oberflächen und Texturen, und manchmal ist es einfach nur ein Haufen von belanglos zusammengestellten Dingen, die mein Interesse wecken. Oft kommen Ideen aber auch beim Lesen oder wenn ich einfach nur spaziere. Natürlich ist es auch sehr hilfreich, wenn man wie hier in London die Möglichkeit hat, sich permanent ganz interessante Ausstellungen anzusehen. 

Sie malen, erzeugen Kunstobjekte, machen Installationen, haben Bücher geschrieben. Was ist Ihre liebste Kunstform?
Hauptsächlich befasse ich mich momentan mit Malerei und Skulptur. Zwischen diesen Beiden findet immer ein spannender Dialog statt. Die Malerei liefert mir viele Ideen für die Arbeit im skulpturalen Bereich und umgekehrt. Außerdem glaube ich, dass es ein menschliches Grundbedürfnis ist, Dinge mit den eigenen Händen zu formen und physische Objekte herzustellen. Gerade die Lockdowns haben gezeigt, wie wenig zufriedenstellend die digitale Welt für uns in Wirklichkeit ist. Wir wollen die Welt eben doch mit all unseren Sinnen erfahren.  

2015 schrieben Sie den Roman »Hüttenkoller«. Warum haben Sie danach keine weiteren Bücher mehr geschrieben? 
Schreiben ist unglaublich zeitintensiv und ich fokussiere mich momentan eher auf die Arbeit im Atelier. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich irgendwann wieder schreiben werde, da es einfach faszinierend ist, mit Worten zu spielen und so eine eigene Welt entstehen zu lassen.  

Wovon leben Sie? Ausschließlich von der Kunst?
Es ist eine große Herausforderung, von der Kunst zu leben. In London ist es einfacher, Kontakte zu internationalen Sammlern zu knüpfen, und ich konnte Arbeiten in Sammlungen, vor allem im asiatischen Raum, unterbringen. Es ist ein permanentes Auf und Ab und man braucht viel Geduld. Ich hatte immer sehr gute Unterstützung von meiner Familie und von Freunden, die meine Arbeit fördern. 

Was war Ihre bisher größte bzw. bekannteste Ausstellung bzw. der bekannteste Ausstellungsort?
Der bekannteste Ausstellungsraum war vermutlich die Saatchi Gallery in London, wo eine meiner Arbeiten von einem Kurator für eine Gruppenausstellung ausgewählt wurde. Diese Ausstellung hat mir für kurze Zeit Sichtbarkeit gegeben und es meldeten sich Galerien, Sammler und sogar ein Museumsdirektor aus Los Angeles. Ich war ehrlich gesagt vom Feedback ziemlich überrascht. Sehr spannend war auch die Teilnahme an einem Projekt für die Tate Britain. 

Wird es im Lavanttal wieder einmal eine Ausstellung von Ihnen zu sehen geben?
Es wird sicher auch im Lavanttal wieder einmal eine Ausstellung geben. In näherer Zukunft ist aber nichts Konkretes geplant. Ich denke, momentan ist es für mich entscheidend, hier in London Verbindungen zu anderen Kunstschaffenden, Kuratoren und Galerien herzustellen. 

Mit diesem Netzwerk im Hintergrund kann ich dann später auch im Lavanttal arbeiten, ohne das Gefühl haben zu müssen, isoliert zu sein. 

Wie ist das Leben in London?
London ist eine total abwechslungsreiche und vielfältige Stadt. Jeder Stadtteil hat seinen ganz eigenen Vibe. Wenn man am Regent’s Canal entlangwandert und die vielen Hausboote sieht, glaubt man fast, man sei in Amsterdam. Die Parks sind ganz toll und teilweise so groß, dass man die Stadt gar nicht mehr wahrnimmt. Ich spaziere am Abend oft zum Battersea Park, der direkt an der Themse liegt. Ein österreichisches Lokal habe ich im Stadtteil Islington auch schon entdeckt und nach einer Verkostung dann gleich einen ganzen Apfelstrudel ins Atelier bestellt. 

Wie sieht Ihr Alltag in London aus?
Die meiste Zeit verbringe ich im Atelier und versuche aktiv zu sein. Meistens gelingt mir das aber erst nach 12 Uhr mittags, da ich mich in Großbritannien zum Nachtmenschen und auch zum Langschläfer entwickelt habe. Bis ich mir in der Früh mein Porridge gekocht habe, vergeht eine Ewigkeit. Ich arbeite aber jeden Tag, auch an den Wochenenden, und daher bin ich trotz eines späteren Starts eigentlich ziemlich produktiv.  

Michael Dohr wurde am 15. April 1982 in Wolfsberg geboren. Nach der Matura am BORG Wolfsberg machte er den Bachelor in Transkultureller Kommunikation an der Karl Franzens Universität in Graz und den Master (MA) of Fine Arts am Chelsea College of Art and Design in London. Seine Arbeiten wurden unter anderen bei Ausstellungen in Hamburg, Nizza, London, Berlin, Wien gezeigt. Dohr lebt und arbeitet in Wolfsberg und London.

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