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Klagenfurt, Lavamünd. Wie stellen Sie sich einen Schlepper vor? Einen drahtigen Finsterling mit angespannter Körperhaltung, der ständig auf der Suche nach Polizeibeamten um sich blickt? In der Vorwoche tauchte am Landesgericht Klagenfurt ein schwammig wirkender Mann auf, der diesem Bild nicht gerecht wurde. Wenn er einmal den Mund auftat, sprach er mit leiser Stimme, er hielt den Kopf immer gesenkt und machte ständig auf einem Zettel Notizen. Seine Standardantwort, ob passend oder nicht, lautete: »Ich werde darauf schriftlich antworten«, was Richter Dietmar Wassertheurer mit viel Geduld über sich ergehen ließ.
Getarntes Superhirn? Kaum
Der Zuschauer fragte sich: Ist dieser Mann so verhaltensoriginell, wie er sich gibt, oder verbirgt hier ein kriminelles Superhirn sein wahres Ich? Betrachtet man die Details des Prozesses, ist man geneigt, ersteres anzunehmen.
Dem 44-jährigen Russen wurde vorgeworfen, im Dezember des Vorjahrs zwei Frauen, ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation, von Slowenien nach Österreich geschleppt zu haben. In Lavamünd endete die Reise, eine Polizeistreife stoppte das Trio. Der bisher unbescholtene Fahrer musste sich nun wegen Schlepperei vor Gericht verantworten.
»Das ist eine mündliche Verhandlung, die heute enden wird. Stammen diese Fragen von Ihnen?«
Dietmar Wassertheurer, Richter
Die Vorgeschichte geht so: Der Angeklagte hatte mit einer Russin über eine Chatgruppe des Messaging-Diensts Telegram Kontakt. Es wurde vereinbart, dass er sie von Logatec bei Laibach nach Salzburg fährt. Die Bezahlung: 250 Euro. In Slowenien quetschte sich nicht nur die Russin in den kleinen Toyota Yaris des Angeklagten, sondern auch deren Oma. Weit kamen sie nicht. Nach der Festnahme sagte der 44-Jährige laut Protokoll zu einem Polizeibeamten: »Als ich die Frauen sah, wurde mir das erste Mal bewusst, dass ich etwas Illegales tue« – was als Geständnis gewertet wurde.
Ohne Anwalt und freiwillig – er saß nicht in Untersuchungshaft – erschien der Russe vor Richter Wassertheurer. Obwohl er in Österreich als Taxifahrer tätig ist, waren seine Deutschkenntnisse zuletzt verloren gegangen. Eine Dolmetscherin musste ihm jedes Detail der Verhandlung übersetzen, was ihre Nerven angesichts der Teilnahmslosigkeit des Angeklagten sichtlich strapazierte.
Schon der Beginn der Verhandlung verlief kurios. Der Russe legte eine Liste von Fragen in deutscher Sprache vor, die äußerst verschlungen formuliert waren. Er bat den Richter, sie an die Zeugen zu richten, da er sie aufgrund mangelnder Sprachfähigkeit nicht stellen könne. Wassertheurer, der den Verdacht hegte, die Fragen würden von einer künstlichen Intelligenz stammen, hakte nach: »Wer hat sie geschrieben?« Der Angeklagte: »Ich werde alle Fragen schriftlich beantworten.« Der Richter: »Das geht so nicht. Das ist eine mündliche Verhandlung, die heute enden wird. Stammen die Fragen von Ihnen?« Der Russe: »Ich möchte alle Fragen schriftlich beantworten.« Wassertheurer: »Sie haben diese Fragen doch eingebracht. Was steht drin?« Der 44-Jährige: »Ich werde alle Fragen schriftlich beantworten.«
Die komplexen und verklausulierten Fragen ließen vermuten, der Angeklagte glaubte, a) dass seine Aussagen in der ersten Einvernahme nicht vollständig und korrekt übersetzt und niedergeschrieben worden seien, b) dass sein Geständnis nicht als solches gemeint gewesen sei, c) er sich nach der Festnahme nicht rechtskonform behandelt fühlte, d) die Russin ihn übers Ohr gehauen habe. Offen aussprechen wollte er all das aber nicht.
Der Angeklagte malt
Während der Angeklagte vor sich hin malte, befragte Wassertheurer die bei der polizeilichen Einvernahme anwesende Dolmetscherin sowie drei mit dem Fall betraute Beamte, zwei von der Polizeiinspektion Lavamünd, einer vom Landeskriminalamt, als Zeugen. Ihnen allen legte der Richter auch die Fragen des Angeklagten vor. Die erste Reaktion war stets dieselbe: »Wie bitte?«, bzw. sinngemäß »Was soll das bedeuten?«
Alle vier beteuerten, Übersetzung und Protokollierung seien ebenso makellos gewesen wie die Behandlung des Mannes. Ein Beamter sagte aus, dem Russen sei ein Anruf bei seinen Angehörigen angeboten worden, er habe aber abgelehnt. Außerdem verfügte er über sein eigenes Telefon. Er hätte es nur nützen müssen ...
»Ich werde alle Fragen schriftlich beantworten«
Der Russe, angeklagt der Schlepperei
Schließlich fragte der Richter den Russen, ob er die Korrektheit der Einvernahme und des Protokolls rechtlich abgeklärt sehen wolle, ob er möchte, dass jemand verfolgt werde, der etwas falsch gemacht haben könnte? Die etwas sinnfreie Antwort: »Ich habe das geschrieben ...« Und: »Ich möchte einen Freispruch.«
Der spielte sich nicht. Bei einem Strafrahmen von zwei Jahren verurteilte Wassertheurer den Angeklagten zu vier Monaten bedingter Haft. Er ging davon aus, dass der Mann nicht Teil einer Schlepperorganisation ist und berücksichtigte auch dessen bisherige Unbescholtenheit. Das Urteil war in der Vorwoche nicht rechtskräftig, der Angeklagte erhielt drei Tage Bedenkzeit, die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab.
Übrigens: Die Russinnen sollen Österreich wieder verlassen habe
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