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Christian Hölbling: »Zeitreisen in die Zukunft sind relativ problemlos möglich – theoretisch« Ausgabe 20 | Mittwoch, 13. Mai 2020

Der gebürtige Lavanttaler Christian Hölbling (48) arbeitet als Dozent für theoretische Physik an der Universität Wuppertal. Mit den Unterkärntner Nachrichten sprach er über seine Arbeit in Forschung und Lehre, die alles erklärende Weltformel und Zeitreisen.

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Wie bzw. wann kamen Sie auf die Idee Physiker zu werden?
Das war mit ungefähr zehn Jahren. Ich habe damals die Fernsehserie »Unser Kosmos« begeistert angesehen und zum ersten Mal von den seltsamen Effekten der Relativitätstheorie gehört – was alles geschieht, wenn man sich der Lichtgeschwindigkeit nähert. Das hat mich fasziniert, und ich wollte unbedingt genauer verstehen, wie das alles funktioniert.

Können Sie den Lesern einen kurzen Überblick über Ihren beruflichen Werdegang geben?
Ich habe bis 1996 an der Uni Graz und dann bis 2001 an der Boston University (Massachusetts, USA) Physik studiert und 2002 dort promoviert. Danach war ich ein Jahr lang am Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) in Zeuthern in der Nähe von Berlin und zwei Jahre lang am Zentrum für theoretische Physik (Centre de Physique Theorique) in Marseille, das zur französischen nationalen Forschungsagentur (CNRS) gehört. Seit 2004 bin ich an der Uni Wuppertal, zunächst als wissenschaftlicher Assistent und seit 2012 als Dozent für theoretische Physik. 

Wie war das Leben und Studieren in Amerika?
Das Leben in den USA hat sich für mich viel freier angefühlt als in Österreich. Das ist aber nicht nur positiv gemeint – man könnte auch sagen, die Leute kümmern sich weniger umeinander. Das beste Beispiel ist vielleicht, dass sich Leute oft überschwänglich begrüßen und dann einfach weitergehen. Am Anfang fand ich das nur oberflächlich, aber mit der Zeit habe ich es auch zu schätzen gelernt, dass in den USA die Privatsphäre viel mehr respektiert wird. Als Student war  Boston natürlich eine tolle Stadt. Es gibt dort mindestens fünf große Unis und ein entsprechendes Studentenleben. Man konnte Vorträge von einigen der führenden Experten hören, und ich hatte das Gefühl, sozusagen am Puls der Zeit zu sein. 

Danach waren Sie in Deutschland und Frankreich tätig. Was haben Sie dort gemacht?
Die zwei Stellen in Zeuthen und Marseille waren meine "Postdocs", das sind sozusagen die Wanderjahre von jungen Wissenschaftlern nach der Promotion und bevor sie eine feste Stelle finden (oder auch nicht). In den allermeisten Fällen ist es so, dass man in dieser Zeit zwar oft - typischerweise alle zwei Jahre - den Wohnsitz wechselt, aber nicht so sehr das Feld, auf dem man forscht. So war es auch bei mir. Ich habe mich seit meinem Diplom in Graz vor allem mit computergestützter theoretischer Physik beschäftigt. Ganz grob gesprochen nehmen wir die Rechnungen, die zu kompliziert sind um sie mit Papier und Bleistift zu machen und lassen Computer die Arbeit erledigen. Das klingt vielleicht nicht besonders spannend, aber wenn man daran interessiert ist eine Theorie aufzustellen, die korrekt beschreibet wie sich die Natur verhält, dann muss man wissen, was diese Theorie vorhersagt und dazu sind genau solche komplizierten Rechnungen oft notwendig.

Am besten erkläre ich das vielleicht an einem Beispiel. Wir wissen seit langer Zeit, dass Atomkerne aus Protonen und Neutronen bestehen. Seit ungefähr 50 Jahren gibt es eine Theorie, die sogenannte Quantenchromodynamik, die beschreibt, wie Protonen und Neutronen selbst wieder aus noch elementareren Teilchen - den Quarks und Gluonen - zusammengesetzt sind. Viele Rechnungen in dieser Theorie sind allerdings so schwierig, dass man z.B. über 30 Jahre lang nicht wusste, ob sie die Massen von Protonen und Neutronen überhaupt richtig beschreibt. Im Jahr 2008 waren schliesslich unsere Rechenmethoden und auch die Supercomputer endlich so weit, dass wir die Rechnung durchführen konnten und seither wissen wir, dass die Quantenchromodynamik die richtigen Massen für Protonen und Neutronen liefert.

In meiner Zeit in Zeuthen und Marseille habe ich vor allem an den Methoden gearbeitet, um so eine Rechnung möglich zu machen. 

Woran forschen Sie aktuell?
Im Moment arbeite ich an zwei größeren Projekten. Das erste ist quasi eine Fortsetzung der Berechnung der Proton- und Neutronmasse. Wir versuchen herauszufinden, welcher Anteil der Masse eines Protons bzw. Neutrons welchen Ursprung hat. Das klingt vielleicht seltsam, aber tatsächlich ist es so, dass Masse keine grundlegende Eigenschaft ist, sondern dynamisch erzeugt werden kann, wie verschiedene bekannte Theorien sagen. Im zweiten Projekt geht es darum, ob und wie genau sich schwarze Löcher bilden können, wenn Materie durch ihre eigene Schwerkraft kollabiert. Vor über 40 Jahren hat Stephen Hawking vorausgesagt, dass schwarze Löcher Energie abstrahlen (die sogenannte Hawking-Strahlung) und schließlich verdampfen, und wir versuchen herauszufinden, wie sich das auf Materie auswirkt, die gerade erst dabei ist, zu einem schwarzen Loch zu kollabieren.

Haben Sie irgendwelche Preise gewonnen, ein Buch geschrieben oder Fachartikel veröffentlich?
Ich habe ein paar Preise gewonnen, aber nur ganz kleine. 1997, als ich noch in Boston studiert habe, habe ich den »Maurice and Gertrude Goldhaber Award« für meine Leistungen im ersten Studienjahr bekommen – der war ganze 500 Dollar wert. Und 2011 habe ich für ein Forschungsprojekt, dass ich am Jülicher Supercomputerzentrum eingereicht habe, den »John von Neumann Excellence Award« bekommen, der mir etwas mehr Rechenzeit auf dem Supercomputer eingebracht hat. Mein erstes Fachbuch – ein Lehrbuch über Allgemeine Relativitätstheorie und Kosmologie, das ich zusammen mit einem Kollegen geschrieben habe – wird im September bei Springer veröffentlicht. Fachartikel habe ich, meist gemeinsam mit ein paar Kollegen, ungefähr 100 geschrieben. 

Unter Physiker stellen wir uns heute meist Nerds wie jene aus der TV-Comedy-Serie »The Big Bang Theory« vor. Trifft das Bild zu?
Auf ein paar Physiker trifft das sicher zu, aber auf den Großteil glaube ich nicht. So sehe ich das zumindest, aber ich bin ja selbst ein Physiker (lacht). Jedenfalls sind die meisten, die ich kenne, ganz normale Familienmenschen. Eines ist aber schon wahr: Es gibt eine Tendenz unter Physikern, die gerade an einem interessanten Problem arbeiten, pausenlos daran zu denken.

Wie sieht der Alltag eines Physikers tatsächlich aus?
Mein Alltag wird vor allem von meinen drei Kindern bestimmt, die derzeit alle in die Schule gehen. Ich versuche auch privates und berufliches so weit wie möglich zu trennen, was mir auch immer besser gelingt, je älter ich werde. Es kommt noch hin und wieder vor, dass ich nächtelang an einem Problem herumrechne, aber meistens gehe ich zwischen 7 und 9 aus dem Haus und komme zwischen 5 und 7 nach Hause.

An der Uni beginnt der Tag dann mit einem Blick auf den "Preprint server", das ist eine Webseite, auf der neue Artikel von den Autoren hochgeladen werden, bevor sie an ein Fachjournal zur Publikation geschickt werden. Das muss man machen um auf dem Laufenden zu bleiben. Danach verbringe ich ungefähr ein Drittel bis ein Viertel meiner Zeit mit Studentenbetreuung oder Lehre. Vom Rest der Zeit geht noch einiges an Verwaltungsarbeiten und Seminare drauf, aber meistens schaffe ich es, dass ich ungefähr die Hälfte meiner Zeit wirklich für Forschung zur Verfügung habe. Und das Forschen selbst besteht für mich zu 80% aus rechnen - mit Papier und Bleistift oder am Computer - und programmieren. Daneben bespreche ich regelmässig mit Kollegen die Resultate und wenn ein Projekt fertig ist, muss man es aufschreiben und publizieren.

Was nicht ganz zum Alltag aber trotzdem dazugehört sind die Reisen für Seminare und Konferenzen. Es ist wichtig dass man ein paar mal im Jahr mit Kollegen spricht, mit denen man nicht direkt zusammenarbeitet um Ideen und Resultate auszutauschen. 

Welche Eigenschaften muss ein Physiker besitzen?
Ich finde, am wichtigsten sind Neugierde und Durchhaltevermögen. Und mit Neugierde meine ich das Interesse herauszufinden, wie die Natur funktioniert. Es hilft natürlich, wenn einem Mathematik leicht fällt und wenn man kreativ ist, aber das ist nicht so wichtig. Mit genügend Interesse und Zähigkeit kann man sich immer durch die Mathematik kämpfen, und zu viel Fantasie lockt einen bei der Lösung eines Problems oft auf die falsche Fährte. Aber eines sollte ein Physiker doch noch sein, nämlich sehr selbstkritisch. Es ist wichtig, immer zu überlegen wo man einen Denk- oder Rechenfehler gemacht haben könnte.

Eine oft gestellte Frage: Sind Zeitreisen möglich?
Nein. Das ist zumindest die kurze Antwort unter der Annahme, dass damit Reisen zurück in die Vergangenheit gemeint sind. In die Zukunft kann man, zumindest theoretisch, relativ problemlos reisen, und zwar mit einer ›Geschwindigkeit‹, die viel größer ist als die, mit der wir das sowieso immer tun. Wenn man eine Rundreise macht und sich dabei mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegt, ist für die Zurückgebliebenen viel mehr Zeit vergangen als für die Reisenden. Wenn wir ein Raumschiff hätten, das vier Jahre lang mit einem g (also der Erdbeschleunigung) beschleunigt und damit eine Reise zu den Sternen und zurück zur Erde machen würden, wären auf der Erde inzwischen 100 Jahre vergangen.

Bei einer Reise in die Vergangenheit sieht die Sache ganz anders aus. Wir wissen zwar, dass laut der allgemeinen Relativitätstheorie Raum und Zeit gekrümmt sind. Es gibt auch prinzipiell die Möglichkeit dass diese Krümmung geschlossene Zeitschleifen produziert, also Zeitverläufe in denen man periodisch immer wieder zum gleichen Zeitpunkt zurückkehrt. Allerdings kann keine uns bekannte Materie so eine Krümmung produzieren. Es gibt immer wieder Spekulationen wie man es trotzdem anstellen könnte, aber die haben alle eines gemeinsam, sie mit der uns bekannten Physik nicht möglich sind.

Im Juli 2012 konnte erstmals ein Higgs-Boson nachgewiesen werden, was weltweit gefeiert wurde und als große Sensation gefeiert wurde. Was macht dieses Teilchen so besonders?
Seit beinahe 50 Jahren gibt es das sogenannte Standardmodell der Elementarteilchenphysik dessen Vorhersagen bisher in allen Experimenten, in denen sie geprüft werden konnten richtig waren. Laut diesem Modell stammt die Masse von allen elementaren Teilchen aus dem Higgs-Feld und wenn es dieses Feld gibt, so muss auch das dazugehörige Teichen existieren, das Higgs-Boson geben. Das Higgs-Boson war also eine Vorhersage des Standardmodells und das letzte seiner Teilchen, das man noch nicht gefunden hatte.

Übrigens bedeutet das nicht, dass Masse insgesamt nur vom Higgs-Feld kommt. Die Masse von uns und allem was uns umgibt kommt im Wesentlichen aus den Protonen und Neutronen in den Atomkernen, die selbst keine Elementarteichen sind, sondern, wie vorher erwähnt aus den elementaren Quarks und Gluonen zusammengesetzt sind. Der Großteil ihrer und damit unserer Masse, und zwar nach unseren neuesten Rechnungen ca. 70 Prozent, stammen aus einem anderen Teil des Standardmodells, nämlich der Quantenchromodynamik über die wir vorher schon kurz gesprochen haben.

Wann werden wir die Weltformel haben, die alle physikalischen Phänomene erklärt bzw. gibt es eine solche überhaupt?
(Schmunzelt.) Ja, das wüsste ich auch gerne. Meine Vermutung dazu ist, dass wir sie niemals kennen werden oder, wenn wir sie wirklich entdecken, wir nie sicher sein können, ob uns nicht doch noch etwas fehlt. Aber das ist nur ein Gefühl und kann völlig falsch sein.

Viele von uns denken bei Physik an langweilige Stunden in der Schule. Was würden Sie diesen Personen in drei Sätzen sagen, um sie davon zu überzeugen, dass Physik cool ist?
Im August 2017 hat der Gravitationswellendetektor LIGO gemessen, dass sich einer seiner vier Kilometer langen Arme um ein Milliardstel eines Atomdurchmessers verkürzt hat. Der Grund dafür waren zwei Neutronensterne, die vor 130 Millionen Jahren zusammengestossen sind und dabei Gravitationswellen mit einer Energie ausgesendet haben, die ungefähr der von 10.000 Milliarden Todessternen aus dem Film Star Wars entspricht. Bei diesem Zusammenstoss sind ungefähr zehn Erdmassen Gold und Platin erzeugt worden.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich spiele gerne, vor allem mit meiner Familie, alle möglichen Brett- und Kartenspiele. Außerdem laufe ich gerne (wenn auch sehr langsam) und lese recht viel.

Sind Sie noch öfters im Lavanttal?
Nein, leider nicht mehr. Das liegt aber vor allem daran, dass Familienurlaube prinzipiell immer komplizierter und seltener werden, je älter die Kinder sind. Und dafür, dass man kurz einen Abstecher macht, ist Wuppertal leider zu weit weg. Wenn die Kinder aber einmal aus dem Haus sind, sollte sich das ändern.

Was schätzen Sie am Lavanttal?
Vor allem, dass es so vielfältig ist. Es ist nicht der Nabel der Welt, aber es hat eigentlich alles: wunderschöne Natur, Städte, Landwirtschaft, Industrie, alte Kultur. Und ich finde auch, dass die Leute allgemein die richtige Mischung aus Ernst und Entspanntheit haben, um etwas zu erreichen, aber auch das Leben zu genießen.

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